Unter Damoklesschwertern

Für den rot-roten Senat gibt es in den nächsten Monaten nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Fünf Entscheidungen stehen an, die zentrale Projekte und Figuren der Koalition kippen können

VON STEFAN ALBERTI

Das Parlament pausiert, der Senat ist ab Mitte nächster Woche mehrheitlich in Urlaub. Außer den immer neuen Querelen um die landeseigenen Verkehrsbetriebe ist es vergleichsweise ruhig. Doch es ist eine Ruhe vor dem Sturm. Fünf Entscheidungen und Ereignisse stehen in den nächsten Wochen und Monaten an, bei denen der rot-rote Senat nur verlieren, aber nichts gewinnen kann. Zu allem Überfluss fällt jede dieser möglichen Schlappen in die Zeit des Volksbegehrens für Neuwahlen – und erhöht dessen Chancen.

Damokles, Höfling des Tyrannen von Syrakus, hatte schon genug vom Anblick eines einzigen Schwertes, dass nur an einem Rosshaar über dem Thron hing, auf dem er sich lümmelte. Den Senat bedrohen hingegen fünf dieser Damoklesschwerter. Jeder der dünnen Fäden kann reißen, und Rot-Rot kann wenig beeinflussen, ob das passiert oder nicht.

Damoklesschwert Nr. 1: Die Tempodrom-Ermittlungen

Die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen gegen Finanzsenator Thilo Sarrazin, Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch und Exsenator Peter Strieder (alle SPD) wegen Untreue weitgehend abgeschlossen. Bis zum 25. Juli sollen sich die drei selbst äußern, danach will die Staatsanwaltschaft abschließend bewerten und entscheiden, ob sie Anklage erhebt. Kommt es dazu, werden sich die Beschuldigten kaum im Amt halten können.

Zwar ist auch dann längst noch keiner verurteilt. Doch das sonst übliche „in dubio pro reo“ gilt in der Politik meist nur bis zur Anklageerhebung. „Wenn es dazu kommt, haben wir eine neue Situation“, hieß es dazu schon vor Monaten in der SPD, die bislang hinter ihren Regierungsmitgliedern steht.

Muss jedoch Sarrazin zurücktreten, verliert die Koalition die Symbolfigur ihres zentralen Projekts, der Haushaltssanierung. Sarrazin und nicht etwa der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ist der Mann, der den Sparkurs auch gegen eigene Senatskollegen durchgezogen hat. Fällt er, hat die SPD ein echtes Problem. Kommt es nicht zur Anklage, kann sie das kaum als Erfolg werten: Sie hat stets beteuert, ihre Leute seien unschuldig – wenn Staatsanwaltschaft oder Gericht das genauso sehen, wäre das kein Plus gegenüber dem bisherigen Stand.

Damoklesschwert Nr. 2: Der Flughafen Tempelhof

Ende August oder Mitte September könnte das Oberverwaltungsgericht einem Eilantrag mehrerer Fluggesellschaften stattgeben. Das würde bedeuten: keine Schließung von Tempelhof, bevor die eigentliche, langwierigere Klage der Airlines gegen das Aus entschieden ist. Nichts wäre mit der vom Senat gewollten und von der Luftfahrtbehörde genehmigten Schließung zum 31. Oktober. Die aber ist bedeutend für den Ausbau von Schönefeld zum einzigen Flughafen Berlins. Mit einer späteren Schließung oder womöglich überhaupt keiner wäre das zentrale Verkehrsprojekt von Rot-Rot zumindest erschüttert.

Wieder gibt es für den Senat auch bei einer für ihn positiven Gerichtsentscheidung nichts zu gewinnen: Die Schließung ist bei Anwohnern und Umweltschützern längst als Pluspunkt verbucht und verbraucht.

Damoklesschwert Nr. 3: Ein BVG-Streik

Im Herbst werden sich Bus- und Bahnfahrer mit den landeseigenen Verkehrsbetrieben BVG intensiver über einen Spartentarifvertrag streiten. Es ist durchaus nicht auszuschließen, dass es zu Streiks kommt. Der Ärger darüber entlädt sich zwar erst mal an den BVGlern selbst, sorgt aber generell für eine schlechte Stimmung. Die bleibt stets an „denen da oben“, der jeweiligen Regierung, hängen. Keiner wird sich hingegen bei Rot-Rot bedanken, wenn es nicht zum Streik kommt – denn das wäre schließlich der Normalfall.

Damoklesschwert Nr. 4: Hartz IV

Noch richtet sich die Kritik an Hartz IV größtenteils gegen die rot-grüne Bundesregierung. Wenn aber nach dem 1. Januar die Auszahlung nicht klappt, wenn unklar ist, wer wo zuständig ist, wird sich das schnell ändern. Schließlich werden die Betroffenen ihre Frusterlebnisse in Berliner Ämtern und Jobcentern haben und nicht in Bundesbüros – und deshalb die rot-rote Landesregierung verantwortlich machen.

Daran kann das Land selbst nicht allzu viel schrauben, weil zu viele Dinge vom Bund abhängen: genaue Zahlen, Regelungen und die zur Datenerfassung notwendige Software. Nach Murphy’s Gesetz: Was schief gehen kann, geht auch schief. Klappt wider Erwarten alles zum 1. Januar, wird das hingegen als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden, auf keinen Fall aber als Erfolg für die PDS und ihres Senatsressorts Wirtschaft und Soziales.

Damoklesschwert Nr. 5: Die Verfassungsklage

Hier hat Berlin schlicht nichts mehr zu gewinnen. Einnahmen aus einer erfolgreichen Klage am Bundesverfassungsgericht sind längst Grundlage allen Denkens, den Haushalt zu sanieren und von den aktuell 54 Milliarden Euro Schulden herunterzukommen. Die Hoffnungen darauf sind so hoch geschraubt, dass selbst ein eigentlicher Teilerfolg eine Niederlage wäre.

Das passiert, wenn das Gericht zwar für Berlin urteilt, aber a) später als erwartet entscheidet, b) nicht die erhoffte Summe von 35 Milliarden Euro zuspricht und c) sich die eigentliche Überweisung der Milliarden bis weit in die nächste Legislaturperiode hinein verschiebt. Denn schon 2007 wird der Schuldenberg auf fast 67 Milliarden gestiegen sein – selbst wenn es 35 Milliarden Euro Hilfe gäbe, blieben 32 Milliarden Euro Miese übrig. Laut Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) kann das Land jedoch nur 20 Milliarden Schulden vertragen.

Fazit: Nur eins dieser Damoklesschwerter muss runterfallen, um dem Senat vielleicht nicht den Todesstoß zu versetzen, ihn aber zumindest heftig anzuschlagen. Gerade bei den drei bei der Justiz anhängigen Fragen gilt der alte Satz: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“

Zudem hat der Senat gerade beim absehbaren Hartz-Chaos Pech mit der Terminlage. Anfang Dezember endet die Unterschriftensammlung fürs Volksbegehren, einen Monat später müssten Zählung und Prüfung abgeschlossen sein, das eigentliche Volksbegehren könnte beginnen. Das ist im Januar – genau dann, wenn zehntausende Berliner Arbeitslose entweder direkt merken, dass sie kein Geld mehr bekommen oder wegen Umstellungsproblemen darauf warten müssen.

Dann ist dann auch der Weg nicht mehr weit zum Bezirksamt, wo die Listen für das Volksbegehren ausliegen. In einer solch zorngeladenen Atmosphäre wäre es gar nicht mehr so unwahrscheinlich, dass eine halbe Million Berliner per Unterschrift Neuwahlen verlangt.

Die würden aber voraussichtlich SPD und PDS nicht aus dem Senat drängen. Nimmt man die Europawahl als Messlatte, gäbe es Rot-Rot-Grün. Denn wer erlebt hat, wie sehr die Grünen-Basis aufschrie, als die Partei 2001 mit der FDP auch nur verhandelte, der kann nicht an Schwarz-Grün glauben.

Alles beim Alten trotz Damoklesschwerter und Neuwahlen? Nein. Denn korrekterweise hieße die Koalition bei einem ähnlichen Wahlergebnis wie jüngst: Grün-Rot-Rot. Grün hätte als stärkste Regierungsfraktion Anspruch auf den Spitzenposten im Senat – und Berlin dank grüner Quotierung erstmals seit Louise Schroeder wieder eine Regierende Bürgermeisterin.