geriatrie-rock von RALF SOTSCHECK :
Das Wort jagt einem eisige Schauer über den Rücken: „Reunion“. Es ist eine Epidemie, die ausschließlich Rockbands befällt, deren Haltbarkeitsdatum mindestens um zwei Jahrzehnte überschritten ist. Man denkt mit Schrecken an Jethro Tull und ihren ekelhaft reaktionären, einbeinigen Flöter Ian Anderson, oder an die Beach Boys, die längst Strandopas sind. Oder gar die Sex Pistols, die früher mit ihren majestätsbeleidigenden Songs Skandale produzierten und jetzt „Fuck“ ins Mikro schreien, worauf das mit Digitalkameras bewaffnete Publikum in Gedenken an die rebellischen Zeiten feuchte Augen bekommt.
Diese Rohrkrepierer sind freilich noch erträglich im Vergleich zum GAU, den grauenhaftesten anzunehmenden Untoten des Rockgeschäfts: Crosby, Stills, Nash & Young. Wie erklärt man seinen Kindern, dass man eine Plattensammlung eines Säufers, eines Zombies, eines Nobodys und eines Fließbandproduzenten besitzt?
Nun haben sich auch die Horslips wieder zusammengefunden. Diese irische Band ist als Begründer des Celtic Rock in die Geschichte eingegangen. Dort hätten sie auch bleiben sollen. Stattdessen wollen sie nun mit Geriatrie-Rock Geschichte schreiben. Aber wer will schon fünf alte Männer auf der Bühne sehen und „Dearg Doom“ brüllen hören? Fünfzig ist für einen Rockmusiker steinalt, man sollte dieses Genre der Jugend überlassen.
Als sie sich trennten vor 24 Jahren, was zehn Jahre zu spät war, hatten sie sich über die musikalische Richtung der Band tief zerstritten. Plötzlich verstehen sie sich wieder. Zum Teufel mit der Altersmilde. Vor ein paar Jahren war ich auf dem 50. Geburtstag eines Freundes. Er hatte einen Diskjockey angeheuert, der wie der Tod aussah: dürr, ganz in Schwarz gekleidet, mit unnatürlich blassem Gesicht und eisgrauen Haaren. Ich sprach ihn nach einer Weile an, weil ich wissen wollte, wann er und wir von dem Leiden erlöst würden. Er legte nämlich ständig „Dearg Doom“ auf. Es war Eamon Carr, der frühere – und leider künftige – Schlagzeuger von Horslips. Er sah schon vor 30 Jahren nicht sehr gesund aus.
Die fünf Musiker haben sich neulich bei einer Ausstellung von Horslips-Memorabilia in einem Museum im nordirischen Derry wiedergetroffen. In einem Museum! Es hat ihnen nicht zu denken gegeben. Das stelle man sich mal in der Politik vor: Margaret Thatcher und John Major begegnen sich in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett und beschließen ein Comeback.
Jedenfalls griffen die fünf Horslips in Derry zu ihren Instrumenten und hatten „viel Spaß zusammen“. Der sei ihnen gegönnt. Es gibt aber Dutzende schalldichter Räume für Altherrenpartys, da muss man nicht die Umwelt belästigen. Horslips haben in zehn Jahren zwölf Alben produziert – gute und schlechte. Das sollte reichen.
Wie viele Alben die Rolling Stones bislang veröffentlicht haben, weiß niemand. Es ist deprimierend, wie die ehemals größte Rockband aller Zeiten zur eigenen Tribute Band verkommen ist. Pete Townshend von den Who sang einmal, dass er sterben möchte, bevor er alt wird. Ist er aber nicht. Stattdessen erfreut sich der alte Sack an Kinderpornografie. John Lennon hat irgendwie Glück gehabt.