: Tödliche Schüsse auf offener Straße
Der Chefredakteur des russischen „Forbes“, Paul Chlebnikow, stirbt in Moskau bei einem Anschlag. Im Mai hatte das Magazin eine Liste von Russlands Superreichen veröffentlicht. Journalistenverband hält Racheakt aus Geschäftskreisen für möglich
VON KLAUS-HELGE DONATH
Die drohende Liquidation des größten russischen Ölkonzerns Yukos beherrschte in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen, die aus Moskau kamen. Die Umverteilungspolitik des Kreml war das Thema, das Russlands Geschäftswelt in Atem hielt. Am Freitagabend wartete Moskau mit einer neuen beunruhigenden Nachricht auf. Der Chefredakteur der russischen Ausgabe des US Magazins Forbes, Paul Chlebnikow, wurde am späten Abend auf offener Straße niedergeschossen. Der 41-jährige Amerikaner wurde von vier Schüssen getroffen und erlag wenig später seinen Verletzungen.
Die Moskauer Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen aufgenommen und fahndet nach drei Verdächtigen. Das Fahrzeug der Täter, ein dunkler Pkw der russischen Marke WAS, haben die Ermittler nach eigenen Angaben sichergestellt. Am Tatort fand die Polizei Dutzende Patronenhülsen, die darauf schließen lassen, dass die Attentäter zwei Waffen mit unterschiedlichem Kaliber benutzt haben.
Laut Interfax soll Chlebnikow einem zum Attentatsort geeilten Redakteur noch gesagt haben, er habe den Mann, der auf ihn geschossen habe, nicht gekannt und wisse auch nicht, welches Motiv die Attentäter hätten. In den letzten Wochen sei ihm nichts Verdächtiges aufgefallen. Forbes’ stellvertretender Chefredakteur Kirill Wischnepolskij hatte für die Tat auch keine plausible Erklärung zur Hand: „Vielleicht hat jemandem unser Projekt nicht zugesagt, oder es war eine präventive Maßnahme.“
Angeblich hatte der russischstämmige Amerikaner, der erst im Herbst vergangenen Jahres in das Projekt eingestiegen war, seit Monaten keine investigativen Recherchen mehr betrieben. Die Staatsanwaltschaft geht dennoch davon aus, dass die Hintergründe des Mordes mit Chlebnikows journalistischer Tätigkeit in Verbindung stehen. Auch der Generalsekretär des russischen Journalistenverbandes will nicht ausschließen, dass es sich um einen Racheakt aus nervösen Geschäftskreisen handeln könnte.
In der zweiten Nummer, der Mai-Ausgabe des neuen Magazins, hatte Chlebnikow eine Liste der führenden Superreichen Russlands veröffentlicht und damit für erheblichen Wirbel gesorgt. Allein in Moskau, mehr als in jeder anderen Stadt der Welt, will Forbes 39 Dollar-Milliardäre ermittelt haben. Bei Chlebnikow gingen zahlreiche Drohungen ein. Viele Unternehmer, die in der Phase der wilden Privatisierungen in den 90er-Jahren auf fragwürdige Weise zu ihrem Reichtum gelangt waren, sollen wegen angeblich überzogener Vermögensschätzungen aufgebracht gewesen sein.
Stellten sie früher den Reichtum demonstrativ zur Schau, sind Russlands Oligarchen seit der Yukos-Affäre vorsichtig geworden und meiden öffentliche Auftritte. So war es dem Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow außerordentlich unangenehm, dass seine Gattin im Forbes-Rating als reichste Frau Russlands figurierte. Sie besteht darauf, die Milliarden ohne Amtshilfe des Ehegatten verdient zu haben. Die Angst vor dem Kreml und der Steuerfahndung geht um.
Der Groll der Krisengewinnler ist denn wohl auch das Motiv, dem die Ermittlungsbehörden erst einmal nachgehen. Da Chlebnikow seine Pläne auch engsten Mitarbeitern nicht mitteilte, ist indes nicht ausgeschlossen, dass er doch an einer heiklen Geschichte recherchierte. Ein Forbes-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, sagte der taz, Chlebnikow sei „sehr amerikanisch“ und „unbelehrbar“ gewesen. Die Realitäten des russischen Lebens habe er ignoriert. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er gegen gewisse Verhaltensregeln verstoßen habe. Mit jener Mischung aus Zynismus und ungebremstem Wahrheitsdrang, wie man sie in US-Medien häufig antreffe, komme man in Russland nicht weit.
Dort war Chlebnikow vor allem seit dem Prozess gegen den Oligarchen Boris Beresowski bekannt. 1997 hatte er den damaligen Chef des russischen Sicherheitsrates und Strippenzieher im Kreml in der US-Ausgabe des Blattes als den russischen „Paten“ bezeichnet. Beresowski klagte in England erfolgreich gegen die Zeitschrift. Das hielt Chlebnikow nicht davon ab, in der Zwischenzeit ein Buch über „Beresowski und die Plünderung Russlands“ vorzulegen.
Nach dem Mord an dem Journalisten wies Beresowski gestern auf dessen „unsauberen Umgang mit Fakten“ hin. Im letzten Jahr legte der Nachfahre „weißer“ Emigranten, die in der Oktoberrevolution Russland verlassen hatten, das Buch „Gespräche mit einem Barbaren“ vor, das auf einem Interview mit dem tschetschenischen Feldkommandeur Chosch Achmed Nuchajew basierte. Chlebnikow ist der sechste Journalist, der in diesem Jahr in Russland eines gewaltsamen Todes starb.