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Als die Schande zu den Maasai kam

Hunderte Frauen von Hirtenvölkern in Kenia ziehen wegen Vergewaltigung durch britische Soldaten bei Manövern vor Gericht. Lange wurden die Vorfälle verschwiegen. Erst als Männer für Munitionsunfälle entschädigt wurden, meldeten sich die Frauen

aus Lekiji ILONA EVELEENS

Drei Frauen starren schweigend auf den Ngarengiro-Fluss. Rundum dehnt sich friedlich und still die Savanne aus. Für Alima Isa ist das ein Unheilsort. „Ein paar Meter von hier entfernt wurde ich vergewaltigt“, erzählt die 27-Jährige vom Hirtenvolk der Borana und zupft nervös ihr gelbes Kopftuch zurecht. „Seitdem kriege ich meine Periode nicht mehr und kann keine Kinder bekommen. Das ist eine Schande innerhalb unserer Gemeinschaft.“

Es war 1999, als die Hirtenfrau mit sechs Freundinnen Brennholz am Flussufer suchte. Plötzlich sprang eine Gruppe britischer Soldaten vom anderen Flussufer über Steine im Flussbett auf sie zu. Die 34-jährige Margaret Hawo, die dabei war, erzählt: „Sie kreisten uns ein. Drei hielten mich und nahmen mich der Reihe nach. Ich hörte die anderen Frauen schreien, während sie auch vergewaltigt wurden.“ Margaret gehört zum Nomadenvolk der Maasai. Sie spricht schnell und aufgeregt.

Die Frauen, alle Analphabetinnen, fragten den Clan-Ältesten um Hilfe, damit er bei der Polizei Anzeige erstattet. Die nächste Polizeiwache liegt 30 Kilometer südlich im Städtchen Nanyuki. Danach hörten sie nichts mehr.

Ein Jahr später wurde Eunice Holgeti vom Turkana-Hirtenvolk an derselben Stelle vergewaltigt. Sie hatte ihre Ziegen am Fluss trinken lassen. „Als ich die britischen Soldaten den Ngarengiro überqueren sah, rannte ich davon“, erzählt sie. „Ich erinnerte mich an die Geschichten der anderen. Aber ich war zu langsam. Vier Soldaten vergewaltigten mich. Sie stritten sich untereinander, wer an der Reihe war.“ Wieder gingen die Clan-Ältesten zum Polizeirevier. Auch auf diese Klage hörte Eunice Holgeti nichts mehr.

Die Vergewaltigungen wurden von den Familien der Frauen als Schande empfunden – besonders weil die Täter zu einer anderen Rasse gehörten. „Mein Mann toleriert mich, aber will weiter nichts mit mir zu tun haben“, sagt Eunice. „Meine Kinder werden gehänselt und immer daran erinnert, dass ich Schande über die Familie gebracht habe.“

Mehr als 650 Frauen nordkenianischer Hirtenvölker haben inzwischen über Vergewaltigung durch britische Soldaten berichtet, die in Kenia Manöver abhalten. Der britische Anwalt Martin Day hat eine Sammelklage vorbereitet, und im Juli gaben die britischen Behörden Rechtshilfe frei, womit nun ein Gerichtsverfahren beginnen kann.

Aber bis es so weit war, vergingen mehrere Jahre. Während die Geschichten über Vergewaltigungen in der betroffenen Region kein Geheimnis waren, erreichten sie den Rest von Kenia nie. Der nördlich vom Äquator gelegene Landesteil wird in Nairobi als zurückgeblieben betrachtet. „Wir gehen nach Kenia“, sagen die Nomaden, wenn sie in die Haupststadt fahren.

Öffentlichen Aufschrei gab es erst voriges Jahr, als von der britischen Armee bei Manövern zurückgelassene scharfe Munition im Norden Kenias Viehhüter verwundete oder tötete. Anwalt Martyn Day zwang das britische Verteidigungsministerium zu Entschädigungszahlungen von umgerechnet über sieben Millionen Euro an Verwundete oder Hinterbliebene.

„Als wir damit beschäftigt waren, kamen einige Frauen zu uns“, sagt Simon ole Kaparo von der Nomadenorganisation Impact. „Sie sagten, es sei nicht gerecht, dass der Schmerz ihrer Männer mit Geld gelindert wurde, aber keiner ihr eigenes Leid hören will. Wir haben dann mit Martin Day darüber Kontakt aufgenommen“. Der britische Anwalt nahm die Sache auf. Und zum großen Erstaunen der kenianischen Öffentlichkeit meldeten sich immer mehr Frauen mit Vergewaltigungsgeschichten.

„Vierzig Prozent davon haben nach meiner Meinung harte Beweise“, erklärt Simon ole Kaparo in seinem Büro. „Mehr als dreißig Frauen haben nach den Vergewaltigungen ein Mischlingskind bekommen. Bei Polizei und Krankenhäusern fanden wir Anzeigen und ärztliche Berichte.“

Die Frauen mussten viele Hürden überwinden – auch in der eigenen Gemeinschaft. „Es ist traurig, wie die Familien reagieren“, sagt Maasai-Häuptling Stephan ole Putunoi, der bei mehreren Anzeigen geholfen hat. „Das kommt durch Unwissenheit. Ich erkläre immer, dass die Frauen zum Sex gezwungen wurden.“

Nun sollen die Verfahren in Großbritannien ihren Gang gehen, wo noch eine militärinterne Untersuchung läuft. Der Prozess soll sorgfältig vorbereitet werden. Kaparo weiß, dass die Aussicht auf Entschädigungszahlungen auch Betrügerinnen anlocken kann. „Wir versuchen, die Spreu vom Weizen zu trennen, ehe ein Prozess in Londen stattfindet. Aber die Frauen müssen ihr Recht bekommen.“

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