Imposante Diplomatie ohne Realitätssinn

In seiner hintergründigen Studie analysiert Tobias Debiel Erfolg und Scheitern der UN-Friedensmissionen in Afrika. Er vernachlässigt dabei jedoch die Betroffenen

Tobias Debiel erinnert an allerlei, das die UNO lieber nicht mehr wissen will

Der 1. April 1989 war für die Geschichte Afrikas ein historisches Datum. An diesem Tag begann offiziell die UN-Mission in Namibia, das damals noch Südwestafrika hieß und von dem Apartheidsregime Südafrikas besetzt war. Die Untag (United Nations Transition Assistance Group) war bis zu 8.000 Mann stark und überwachte den Rückzug der südafrikanischen Armee und die freien Wahlen, die Namibias Unabhängigkeit unter Führung der einstigen Befreiungsbewegung Swapo (South West African People’s Organisation) am 21. März 1990 einleiteten. Am Tag der Unabhängigkeit beendete die Untag ihre Arbeit. In weniger als einem Jahr war unter UN-Führung das letzte Kolonialgebiet in Afrika, das zuvor Schauplatz eines langen und grausamen Krieges gewesen ist, friedlich in die Freiheit entlassen worden. Bis heute ist Namibia stabil.

Zu Recht hebt Tobias Debiel in seiner neuen Studie zur UNO in Afrika den namibischen Erfolg als „in mehrfacher Hinsicht richtungsweisend“ hervor. Die erste UN-Friedensmission in Afrika seit der gescheiterten Kongo-Mission der 60er-Jahre war „der Vorläufer für ein second generation peacekeeping, das im Sinne multidimensionaler Friedenssicherung über rein militärische Aufgaben hinausging und mit der Vorbereitung von Wahlen und der Kontrolle der Polizei explizit Elemente des peace-building und institution-building einbezog“. Ohne diesen Erfolg wäre Afrikas Geschichte in vielen Hinsichten anders verlaufen: Das südliche Afrika hätte nicht so rasch zum Frieden gefunden. Und die UNO hätte sich nicht so selbstbewusst wenige Jahre später komplexere Aufgaben in Somalia, Angola und Ruanda zugetraut, deren Scheitern unzählige Menschenleben forderte.

Warum die UNO so kurz nach dem Erfolg von Namibia und später auch einem vergleichbaren Erfolg bei der Überwachung des Bürgerkriegsendes in Mosambik so spektakulär in Afrika versagte, bildet den Hauptteil von Debiels Untersuchung. In ihr vergleicht er UN-Friedensmissionen in Afrika, um daraus Lehren für eine Weltinnenpolitik – akademisch „global governance“ genannt – zu ziehen. Es spricht daher nicht gegen das Buch, dass Theorie und Empirie eher säuberlich getrennt nebeneinander stehen, statt miteinander in Bezug gesetzt zu werden. Vielmehr findet man hier auf engstem Raum die wesentlichen Hintergründe und Entwicklungen zu den diplomatischen Dimension der Konflikte in Mosambik, Angola, Somalia und Ruanda; und oberflächlicher zu Namibia, der Demokratischen Republik Kongo, Sierra Leone, Äthiopien und Eritrea.

Zum Nachschlagen und Staunen findet sich hier allerlei, das die UNO heute lieber nicht mehr wissen will. So erinnert Debiel daran, dass die UNO auf erste Berichte über Kriegsverbrechen durch Blauhelmsoldaten in Somalia mit dem Hinweis reagierte, die UNO habe die Genfer Konvention nicht unterschrieben und sei daher nicht an sie gebunden; erst 1999 unterstellte Generalsekretär Kofi Annan förmlich UN-Soldaten dem humanitären Völkerrecht. Auch zur Vorgeschichte des Versagens bei Ruandas Völkermord nennt Debiel einige wenig bekannte Details, so den Hinweis eines UN-Sonderberichterstatters von August 1993 – acht Monate vor Beginn des Genozids –, dass auf Ruanda angesichts der bereits zu beobachtenden Aktivitäten von Hutu-Milizen die Genozid-Konvention der UNO angewandt werden müsse, die zu sofortigem Eingreifen verpflichtete. Ein Appell, der ungehört blieb. Angesichts der akribischen Detailfülle überrascht nicht, dass der Versuch, daraus allgemeine Schlüsse zu ziehen oder gar eine Systematik des Peacekeeping zu entwickeln, schnell auf empirische Grenzen stößt. Wer eine UN-Mission in Afrika vor Ort erlebt hat, weiß, wie wenig abstrakte Debatten über Völkerrecht, UN-Mandate, Einsatzregeln und Weltpolitik mit der täglichen Realität vor Ort zu tun haben. Denn je genauer man einen afrikanischen Bürgerkrieg studiert, desto weniger vergleichbar wird er mit anderen. Auch im UN-Apparat sind Versuche, allgemein gültige Schlüsse aus Problemen von UN-Friedensmissionen zu ziehen, nur unzureichend umgesetzt worden, wie Debiel vor allem im Zusammenhang mit dem Brahimi-Bericht aus dem Jahr 2000 ausführlich analysiert.

Es gäbe jedoch durchaus Möglichkeiten, die vergleichende Analyse von UN-Missionen in Afrika zu vertiefen, wenn man nicht einzelne Missionen, sondern einzelne Akteure betrachtete. Etwa Oluyemi Adeniji – er leitete die UN-Mission in der Zentralafrikanischen Republik und wurde 1999 Chef der größten afrikanischen UN-Mission in Sierra Leone. Dank ihm wandelte sich die Mission von einem Modell des Scheiterns zu einem des Erfolges. Heute ist Adeniji Außenminister Nigerias und wird damit federführend Konfliktlösung in Liberia betreiben. Persönliche Einschätzungen dessen, was Peacekeeping erfolgreich macht, von seiner Seite und der anderer geachteter Akteure wären aufschlussreich.

Die Beschränkung auf UN-Friedensmissionen blendet zudem Konfliktgebiete wie Burundi oder Sudan aus, in denen die UNO humanitär und diplomatisch ebenso aktiv und einflussreich ist, aber eben kein Militär geschickt hat – aus Gründen, die vielleicht wichtig wären für eine Einschätzung des UN-Umgangs mit Afrika. Leider fehlt auch völlig Kritik aus den Gesellschaften der betroffenen Länder über das Vorgehen der UNO, obwohl die Haltung der betroffenen Bevölkerung ein wesentlicher Faktor für Erfolg oder Scheitern einer UN-Friedensmission sein kann.

Insofern ist das Buch ein Spiegelbild der Probleme der UNO in Afrika: imposant in seiner Beherrschung des diplomatischen Geschehens, der Abläufe und der Entscheidungsprozesse samt ihren diplomatischen Verwicklungen, aber nicht in der Realität verankert, deren Verbesserung sich die UN-Missionen ja eigentlich zum Ziel gesetzt haben. Namibia, wo die UNO langen Atem, Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen bewies, wird vermutlich Ausnahme bleiben.

DOMINIC JOHNSON

Tobias Debiel: „UN-Friedensoperationen in Afrika. Weltinnenpolitik und die Realität von Bürgerkriegen“, 312 Seiten, JHW Dietz, Bonn 2003, 14,80 €