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Archiv-Artikel

Versteck hinter Gittern

Trotz Überfüllung will der Senat das 1. Hamburger Frauenhaus schließen. 45 misshandelte Frauen und Kinder bangen um ihr Obdach und um Schutz. Denn die gewalttätigen Ex-Partner setzen ihnen weiter nach. Die taz besuchte die geheime Fluchtstätte

„Bedrohung ist Alltag. Immer wieder klingeln Männer Sturm oder stehen vor dem Haus“

von Eva Weikert

Das erste, was Martina* trotz ihrer zugeschwollenen Augen sah, waren die Gitter vor Haustür und Fenstern. „Damals dachte ich, das ist ja wie im Knast“, erinnert sich die 27-Jährige an ihre Ankunft im 1. Frauenhaus vor drei Monaten. Martina kam mit gerissenem Ohr, einer Stichverletzung im Bauch, gebrochener Nase und Dutzenden Blutergüssen. Heute sitzt sie in der Küche von Hamburgs ältester Fluchtstätte für Opfer häuslicher Gewalt, und von der 15-stündigen Folter durch ihren Ex-Freund ist nichts mehr zu sehen. „Ich habe hier enormen Halt gekriegt“, so Martina, „und beginne, mich wieder sicherer zu fühlen.“ Jetzt droht sie des Schutzes beraubt zu werden, denn der Senat will das Haus zum Jahresende schließen. Martina sagt: „Hier dichtzumachen, aber den Jungfernstieg zu sanieren, das ist das Allerletzte.“

Die Mutter, die mit ihrem Sohn (8) und ihrer Tochter (4) aus den eigenen vier Wänden floh, lebt in ständiger Furcht, ihren Peiniger wiederzutreffen. Bereits in zwei der sechs Hamburger Frauenhäuser (siehe Kasten) gelang es Männern einzudringen, vor neun Jahren wurde sogar eine 36-jährige Bewohnerin von ihrem Ehemann erschlagen. „Bedrohung ist leider Alltag“, berichtet Maya Krtalic, Mitarbeiterin im 1. Frauenhaus. „Immer wieder klingeln Männer Sturm oder stehen vor dem Haus.“

Dabei ist die Adresse der Zufluchtstätte so geheim, dass nicht einmal Maya Krtalic‘ Mann weiß, wo der Arbeitsplatz seiner Frau liegt. An der Fassade zur Straße sind die Fenster gitterlos, um in dem feinen Wohnviertel keine Aufmerksamkeit zu erregen. Zur Sicherheit wird die Haustür nur nach einem Klingelzeichen geöffnet und jede neue Bewohnerin an einem Treffpunkt abgeholt. Martina wurde von der Polizei zum verabredeten Ort gefahren, nachdem sie ärztlich versorgt und ihr malträtierter Körper in der Gerichtsmedizin fotografiert worden war. Ihr damaliger Freund, ein Junkie, hatte sie nachts zuvor im durch Crack ausgelösten Eifersuchtswahn fast totgeschlagen. „Hier in der Gegend bewege ich mich ohne Begleitung“, so Martina, „unsere Wohnung lag zum Glück am anderen Ende der Stadt.“

Jetzt teilen sie und ihre Kindern sich ein 20-Quadratmeter-Zimmer mit einer fremden Frau und deren Tochter: drei Etagenbetten, Tisch und Schrank stellen die Einrichtung. Ein paar Kinderzeichnungen sind mit Tesafilm an die Wand geklebt. Der Blick durch die Fenstergitter geht in den Garten, wo ein Spielgerüst steht. Neben Martina wohnt Susanne*, ein Opfer des so genannten Stalkings: Der 57-Jährigen setzt der Ex-Freund beharrlich nach und verlangt unter Androhung von Gewalt die Überschreibung ihrer Vermögenswerte. „Andere kommen, um ihre Kinder zu schützen, die vom Ehemann missbraucht werden“, berichtet Helferin Krtalic.

Aus Angst vor Verfolgung hat Martina alle Brücken hinter sich abgebrochen, ein Jobangebot ausgeschlagen und auch von ihren Kindern verlangt, den Kontakt zu Freunden einzufrieren. Heute besuchen die Kleinen Kita und Schule im Viertel, während ihre Mutter auf Ämtern Stütze beantragt und Wohnungsanzeigen liest. Sie sei dabei, sich „ein neues Leben aufzubauen“, sagt Martina, da droht „die Stadt durch die Schließung des Hauses wieder alles kaputtzumachen“.

Auf Anweisung der Sozialbehörde soll die Einrichtung bis zum 31. Oktober geräumt werden. „Die Frauen fürchten, obdachlos zu werden“, warnt Mitarbeiterin Krtalic. Denn wie das 1. Frauenhaus seien auch die anderen Zufluchtsstätten in der Stadt überbelegt. „Dabei will hier niemand länger bleiben als nötig.“ Für die derzeit 45 Schutzsuchenden gibt es 44 Betten, gerade mal zwei Duschen und fünf Toiletten auf dem Gang. Putzen, Kochen und die Notaufnahme übernehmen die Bewohnerinnen selbst.

Der Sparwut des Senats sind auch die Psychologinnenstellen in allen Frauenhäusern zum Opfer gefallen. Weder Martina noch Susanne sind in therapeutischer Behandlung. Um die Auslastung der Einrichtungen zu kontrollieren, verlangt die Sozialbehörde jetzt zudem die Herausgabe der Namen aller Bewohnerinnen. „Dass ist ein Unding“, sagt Martina. „Ohne Anonymität gibt es für uns hier keinen Schutz.“

*Namen der Bewohnerinnen geändert