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Archiv-Artikel

Verdacht läuft mit

Maurice Greene gewinnt bei den Trials die 100 Meter. Weltrekordler Montgomery wird lediglich Siebter

SACRAMENTO taz ■ An einem Tag, an dem selbst an den seltenen schattigen Stellen von Sacramento noch 36 Grad gemessen und 22.000 Zuschauer auf den nicht überdachten Aluminiumtribünen des „Hornet Stadiums“ gegrillt wurden, sorgte wenigstens der Sprinter Tim Montgomery für Abkühlung. Der des Dopings beschuldigte 100-Meter-Weltrekordler (9,78 Sekunden) verpasste am Sonntag als Siebter in 10,13 Sekunden die Qualifikation für Olympia und ersparte dem amerikanischen Leichtathletik-Verband damit weitere hitzige Debatten über die Folgen des so genannten Balco-Skandals. Die Amerikaner wollen ja im August eine einwandfreie Mannschaft nach Athen schicken, aber wegen sechs derzeit anhängiger Dopingfälle war befürchtet worden, dass man einige Angeklagte mitlaufen lassen müsste, solange auch die juristischen Verfahren noch laufen. Nachdem am Samstag schon die beschuldigte Sprinterin Chryste Gaines die sportlichen Voraussetzungen nicht erfüllte, können nun zumindest zwei Verfahren in Ruhe zu Ende gebracht werden, ohne dass sie sich auf das Olympia-Team auswirken.

Zwei Tage lang war in Sacramento ja über nichts anderes geredet worden als über Doping, und das Thema hatte Athleten und Funktionäre gleichermaßen genervt. Die für die Frauen zuständige Cheftrainerin Sue Humphrey klagte: „Ich finde es traurig, dass sich die Leute nur auf die sechs Athleten stürzen, die angeblich betrogen haben. Ich würde mich lieber auf die tausend anderen Athleten konzentrieren, die hier sind.“

Das 100-m-Finale der Männer am dritten Tag der Trials kam den Gutgläubigen unter Amerikas Leichtathletik-Anhängern da gerade recht, um das Thema in den Hintergrund zu drängen. Die ersten drei des Finales passten jedenfalls prima in das positive sportliche Bild, das Sue Humphrey von den Trials entworfen hatte: „Wir haben hier eine Menge Youngster, die nach vorne drängen, Athleten, die gereift sind gegenüber den letzten Trials, und Veteranen, die es noch einmal wissen wollen.“ Das traf genau zu auf den bald 30-jährigen Maurice Greene, auf Shawn Crawford (26) und Justin Gatlin (22), die sich qualifizierten für Athen. Greene gewann bei Windstille in 9,91 Sekunden vor Gatlin (9,92) und Crawford (9,93). Man hatte das Gefühl, dass Gatlin gewonnen hätte, wenn es noch einen Meter weiter gegangen wäre, und Crawford, wenn die Strecke zwei Meter länger gewesen wäre. Aber Maurice Greene erwies sich wieder einmal als der Mann, der alles auf den Punkt bringen kann.

Die 100-m-Trials von Sacramento sind ja nun nicht das erste große Finale gewesen, das der Olympiasieger von Sydney 2000 so knapp gewonnen hat: Schon bei den Weltmeisterschaften 1999 und 2001 war er eine Hundertstelsekunde eher im Ziel gewesen als seine Verfolger. Nach zwei schwächeren, von Verletzungen beeinträchtigten Jahren feierte der herausragende Sprinter der Jahrtausendwende in Sacramento jedenfalls ein beeindruckendes Comeback. Aber vor allem angesichts des nach vorne drängenden Gatlin stellte er auch fest: „Die Ehrfurcht vor mir ist weg, jetzt glaubt ja jeder, dass er mich schlagen kann.“

Justin Gatlin wird schon als legitimer Nachfolger Greenes gehandelt; der junge Mann sagt: „Ich bin Teil einer neuen Ära in der amerikanischen Leichtathletik.“ Wie Shawn Crawford ist er aber auch Teil der Trainingsgruppe von Trevor Graham in Raleigh (US-Bundesstaat North Carolina), und der wiederum ist Teil des aktuellen Doping-Skandals. Graham gilt als der Mann, der die Affäre um das Designer-Steroid THG durch einen anonymen Tipp ins Rollen gebracht hat. Bis Ende 2002 betreute er Tim Montgomery und dessen Lebensgefährtin, die ebenfalls des Dopings verdächtigte Sprint-Olympiasiegerin Marion Jones. Die Trennung war angeblich nicht schön, und nun muss es für Graham wohl eine Genugtuung sein, dass Jones und Montgomery bei den Trials von seinen Zöglingen besiegt worden sind.

Der einstige 400-Meter-Läufer Trevor Graham gilt indes als zwielichtige Gestalt in der Szene: Er soll etlichen seiner Athleten Dopingmittel gegeben haben, die 400-Meter-Spezialistin Michelle Collins ist eine der sechs aktuell Beschuldigten. Am Sonntag gingen Gatlin und Graham gemeinsam aus dem Stadion, zufrieden lächelnd hinein in den Sonnenuntergang. Aber es sah nicht so aus, als sei die Doping-Debatte auf Dauer abgekühlt.

JOACHIM MÖLTER