Austausch zwischen Metropolen

Neuer Trend der Globalisierung: Konzernzentralen gehen auf Wanderschaft – nicht nur Fabriken. UN-Organisation Unctad zählt 829 Verlagerungen zwischen Januar 2002 und März 2003. Meist ziehen die Manager aber von einem reichen Land ins andere

aus Berlin HANNES KOCH

Nicht nur miese Jobs in der Produktion werden weltweit verlagert. Auch die Firmenzentralen mit ihren hohen Gehältern wandern nun aus den entwickelten Ländern ab. Diesen „neuen Trend der Globalisierung“ hat die Unctad in Genf ausgemacht. Die Organisation der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung sieht darin eine Chance auch für ärmere Länder, am Zuwachs des Wohlstandes teilzunehmen.

In einer Vorarbeit für den Weltinvestitionsbericht kommen die Ökonomen der Unctad zu dem Ergebnis, dass alleine zwischen Januar 2002 und März dieses Jahres 829 Zentralen von transnationalen Unternehmen teilweise in andere Länder verlagert wurden. Ein Beispiel dafür ist der Chemiekonzern ICI, dessen weltweites Management in London residiert. Im April 2003 hat ICI die Zentrale seiner osteuropäischen Farbenproduktion von Wien nach Warschau verlegt. Der polnische Vorstand steuert jetzt nicht nur die Aktivitäten im eigenen Land, sondern auch die in der Slowakei, Tschechien, Ungarn und Kroatien. Bei ICI war der Grund für die Verlagerung, dass das Wachstum beim polnischen Ableger höher lag als in den benachbarten Ländern. Die Zentrale in London wollte das profitbringende Know-how der Polen auch den anderen Niederlassungen zukommen lassen.

Wie Unctad-Experte Douglas van den Berghe erläutert, stellen viele transnationale Konzerne mittlerweile fest, dass sie die weit entfernten Aktivitäten der Firma aus ihrer Zentrale, die zu fast 80 Prozent in den reichen Wirtschaftsregionen Europa, USA und Japan liegt, nicht mehr ausreichend steuern können. „Sie brauchen mehr Koordinierungsfunktionen in Afrika, Asien oder Lateinamerika“, sagt von den Berghe, „da, wo die Produktion stattfindet.“

Wohlgemerkt werden nur Teile des so genannten Headquarters verlagert – die Weltzentrale gibt einen Teil der Verantwortung an neue regionale Knoten in anderen Ländern ab. Die Hautptverantwortung bleibt aber dort, wo sie immer schon war: in London, New York oder Tokio. Nur in wenigen Fällen gibt ein Global Player sein altes Quartier ganz auf und siedelt über. Ikeas Umzug von Schweden nach Kopenhagen ist eines der raren Beispiele.

Auch ist das, was als Umverteilung von Reichtum missverstanden werden kann, meistens ein Austausch unter den reichen Ländern. Allenfalls noch Schwellenländer haben die Chance, in den Genuss der Ansiedlung von Headquarters zu kommen. Die meisten Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika rangieren unter „ferner liefen“.

181 der 829 Konzernumzüge oder Gründungen von neuen regionalen Knoten hatten Großbritannien zum Ziel, 126 die USA. Dann folgen Australien (54), Singapur (46), Hongkong (44) und Deutschland (37). Die Vereinigten Arabischen Emirate konnten 19 Ansiedlungen verzeichnen, Brasilien und Malaysia jeweils 8.

Nur ein ganz kleiner Teil der globalen Neuverteilung spielt sich in wirklich armen Ländern ab. Uganda und Südafrika, El Salvador und Usbekistan stehen mit jeweils einer Ansiedlung immerhin auf der Liste, der Großteil der Staaten fehlt dagegen völlig.

Und auch für die Länder, die angeblich profitieren, muss das nicht viel bedeuten. Polen, das auf der Unctad-Liste mit einer Neuansiedlung auftaucht, ist ein gutes Beispiel: Die Osteuropa-Zentrale von ICI steht jetzt zwar in Warschau, zusätzliche Beschäftigung hat das aber nicht gebracht. Der polnischen Vorstandsmannschaft wurden nur die zusätzlichen Verantwortlichkeiten übergeholfen.