: Berlusconi dreht bei
Italiens Ausländerrecht scheitert im Härtetest. Selbst Minister drängten auf humanitäre Lösung des „Cap Anamur“-Problems
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Die Krise um die „Cap Anamur“ hat gestern ein vorläufiges Ende gefunden: Zuletzt drehte nicht das Flüchtlingsschiff, sondern die italienische Regierung bei und erlaubte ein Anlegen der „Cap Anamur“ im sizilianischen Hafen Porto Empedocle ebenso wie den Landgang der 37 Sudanesen an Bord, die nun von dem Flüchtlingsaufnahmelager in Agrigent aus in Italien Asyl beantragen können.
Die „Cap Anamur“ hatte die sudanesischen Bootsflüchtlinge vor drei Wochen in der Straße von Sizilien aufgegriffen. Italiens Behörden erklärten sich jedoch nicht zur Aufnahme bereit. Die Regierung in Rom machte geltend, die „Cap Anamur“ habe mit den Flüchtlingen zunächst maltesische Hoheitsgewässer angelaufen und deshalb sei Malta die richtige Adresse für einen Asylantrag. Zudem wurde der Konflikt zum Anlass, Entschlossenheit zu demonstrieren und die Wirksamkeit des Ausländergesetzes vorzuführen, das die Rechtskoalition von Ministerpräsident Silvio Berlusconi nach dem Wahlsieg 2001 verabschiedet hatte. Nicht zuletzt wies dieses Gesetz der italienischen Küstenwache und der Marine die Aufgabe zu, Schiffe mit Flüchtlingen an Bord an der Einfahrt in italienische Hoheitsgewässer und erst recht in die Häfen zu hindern. Auf diese Weise hoffte man, der „Plage“ der Bootsflüchtlinge endlich Herr zu werden, die sich jedes Jahr vor allem in den Sommermonaten zu Tausenden vor allem von Tunesien und Libyen aus in Richtung Sizilien auf die Reise machten.
Seitdem gingen die Zahlen tatsächlich stark zurück – Apulien und Kalabrien meldeten für 2003 fast Nullziffern, während 2002 noch etwa 12.000 Flüchtlinge an den Küsten dieser Regionen angelandet waren. Sizilien verzeichnete einen Rückgang von 17.000 auf 13.000 Boatpeople. Entscheidend dafür war aber weniger das restriktive Gesetz, sondern die Absprache mit den Südanrainern des Mittelmeers.
Wie unwirksam dagegen die harten Normen des Ausländerrechts sind, zeigte jetzt wieder die „Cap Anamur“-Krise. Denn kein Gesetz kann die humanitären Beistandsverpflichtungen des internationalen Seerechts außer Kraft setzen. So blieb den italienischen Behörden nichts anderes, als auf Zeit zu spielen, wohl auch in der Hoffnung, das Problem womöglich an Deutschland weiterreichen zu können. Zunächst lief das Schiff am Sonntag ohne Erlaubnis in italienische Hoheitsgewässer ein, da, so Kapitän Stefan Schmidt, die Lage an Bord „außer Kontrolle“ sei; doch Boote der Küstenwache versperrten die Einfahrt in den Hafen. Der „Cap Anamur“ wurde allerdings gestattet, vor dem Hafen zu ankern; zugleich wurden italienische Ärzte an Bord geschickt, um Passagiere zu identifizieren, die wegen ihres Gesundheitszustands die Erlaubnis erhalten sollten, an Land zu gehen.
Gestern dann zerschlugen sich die Hoffnungen, Deutschland könnte den auf dem Schiff beim Kapitän eingereichten Asylanträgen stattgeben. Zugleich mehrten sich aber auch in der italienischen Öffentlichkeit die Stimmen zugunsten einer humanitären Lösung. So hatte Walter Veltroni, Bürgermeister von Rom (und Vertreter der Mitte-links-Opposition) seine Bereitschaft erklärt, die Flüchtlinge in Rom aufzunehmen; die katholische Kirche hatte Druck für eine Aufnahme gemacht – Kurienkardinal Sergio Sebastiani sagte bündig, „jenseits des Gesetzes“ stehe „das Leben an erster Stelle“; der Italienische Flüchtlingsrat hatte ebenso wie der Hohe Flüchtlingskommissar der UN die Regierung zur Revision ihrer Haltung aufgefordert. Mindestens ebenso schwer wogen die Stimmen aus der Koalition. Totò Cuffaro, Präsident der von der Rechten regierten Region Sizilien, forderte, gleich das ganze Ausländergesetz „in humanitärem Sinne zu revidieren“. Und Mirko Tremaglia, Minister für die im Ausland lebenden Italiener, verlangte ein Handeln „im Geiste der Aufnahmebereitschaft“: „Wir können nicht die Prinzipien der Menschlichkeit beiseite schieben.“
Anwendung wird das italienische Ausländergesetz dennoch wenigstens in einem Punkt finden: Die Staatsanwaltschaft von Agrigent hat schon ein Verfahren wegen Begünstigung der illegalen Einwanderung eingeleitet, zunächst gegen unbekannt. Schon gestern sollten Kapitän Stefan Schmidt und Cap-Anamur-Präsident Elias Bierdel einvernommen werden – offiziell als Zeugen.