: Irgendwo am „Rathkrügen“
Auf der Suche nach der Quelle: Wo entspringt die Alster? Bei Henstedt-Rhen, bestimmten dereinst Heimatkundler und Topographen. Aber ist das wirklich die ganze Wahrheit?
von PEGGY WOLF
Wasser quillt unter einem eisernen Deckel hervor wie überkochender Pudding. Seit wann es den Deckel gibt, weiß heute niemand mehr. Wo Sonnenstrahlen das Wasser erreichen, sind durchscheinende Kieselsteine heller. Andere in der Dauerpfütze um so dunkler. Es ist ganz still dort, riecht nach Schlamm und modrigem Laub. Soweit man mit dem Finger unter den Deckel bohren kann, ist das Wasser sehr kalt. Heben kann man ihn nicht, er ist verankert. Auf dem Deckel, neben Meerjungfrau mit Hamburgwappen, steht: Quellgrund der Alster.
Alles begann an einem heißen Sommertag – ich saß neben dem „Alsterpavillon“, aß ein Eis und fragte mich: Wo kommt die Alster eigentlich her? Hamburgführer halfen nicht weiter. Dafür fand ich zu Jürgen Lürtzings „Radtouren und Entdeckertips – 40 Radtouren zwischen Hamburg und der Alten Salzstraße“. Volltreffer – auf Seite 107 die Tour zu den Quellen der Alster.
Die beginnt in Henstedt-Ulzburg und führt über sechs Kilometer Quellenweg zunächst nach Henstdt-Rhen. Da stand ich nun – irritiert. Denn im Radführer steht: „Etwas eindrucksvoller als an der anderen Quelle hat man sich hier sogar die Mühe gemacht, die ‚wahre‘ Alsterquelle durch eine Einfassung zu unterstreichen.“ Welche andere Quelle? Während ich darüber nachdachte, fuhr ich vorbei an Wilstedt und Fahrenhorst bis zum Wakendorfer Moor. Schließlich ist die Tour 31 Kilometer lang. Grillen zirpten irgendwo in den Roggen- und Weizenfeldern – Kühe lümmelten am schattigen Weidenrand und käuten nicht einmal wieder. Hinter Wakendorf II geht es bergauf – der „Rathkrügen“ im Kisdorfer Wohld ist fast 91 Meter hoch. Ein Überbleibsel der so genannten Saaleeiszeit vor 150.000 Jahren. Wo ist sie denn nun, die andere Alsterquelle?
Ein paar Wanderer, die auf dem Berge picknickten, wussten tatsächlich Bescheid und konnten mir sogar den Weg weisen. Ich fand ein faustgroßes Loch, mitten im Gras, aus dem es sprudelte. Kein Schild – nichts. Unbenannt fließt das Bächlein den Berg hinunter.
Am nächsten Tag rief ich im Archiv der Gemeinde Henstedt-Ulzburg an. Der einzig wissende Archivar – im Urlaub. Nächster Versuch: Heimatverein Kreis Segeberg. Ernst Steenbek, 67, 1. Vorsitzender des Vereins, erklärt: „Für mich ist die Asterquelle irgendwo am ‚Rathkrügen‘ im Kisdorfer Wohld. Die Quelle bei Henstedt ist doch nur festgelegt.“ Er hatte in Heinrich Carl Dannmeyers „Lebenserinnerungen“ gelesen, ein Lehrer, der 1853 in Kisdorf geboren wurde: „Am südlichen Abhange des Rathkrögen liegt eine Quelle, die ihre Wasser in das Alstergebiet des Henstedter Wohld sendet. Ich habe sie einmal als Alsterquelle angesprochen, was Herr Melhop nicht gelten ließ.“ Herr Wilhelm Melhop (1856 – 1943), studierter Bauhistoriker und Topograph, Hamburger Baudirektor, Verfasser mehrerer Bücher, vor allem „Die Alster“, 1932 – mehr gab das Internet nicht her. Aber da ist ja noch der „Alsterverein“, eine Vereinigung Ehrenamtlicher für Heimatkunde und Heimatpflege des Alstergebietes. 1. Vorsitzender ist Ferdinand Ziesche (66). Er weiß nichts über eine andere Quelle, erklärt kategorisch stattdessen: „Die Alster hat eine Quelle, eben die bei Henstedt. Bis zum Bau des Alster-Trave-Kanals 1529 galt die so genannte Alte Alster als Quellfluss. Sie entspringt im Nienwohlder Moor – etwa 15 Kilometer weiter östlich.“ Bei der Burg Stegen vereint sie sich mit den Quellflüssen aus der Henstedter Gegend zu der Alster, wie sie heute fließt. Durch den Bau des Kanals, die Entwässerung des Nienwohlder Moores und die landwirtschaftliche Nutzung des Gebietes kam heraus, dass die Alsterquelle im Henstedter Moor liegen muss, da die Alster gleich bleibend Wasser führte. Topographen und Heimatkundler bestimmten die Alsterquelle deshalb im 17. Jahrhundert am heutigen Ort.
Und genau so steht es in Melhops Buch geschrieben, genauer erläutert, aber ist es damit auch bewiesen? Ferdinand Ziesche dazu: „Theoretisch kann jeder Nebenfluss der Alster auch ihr Quellfluss sein. Das ist Festlegungssache.“ Nein – das ist Bürokratie, da bekommt eine Quelle ein Denkmal, die andere nicht mal einen Namen.