Das System lebt

In Großbritannien zahlen auch staatliche Banken ihren Mitarbeitern Boni. Das sorgt für heftigen Protest. Dabei tun die Finanzunternehmen in der Krise nur das, was man von ihnen erwarten muss

VON NATALIE TENBERG

In der letzten Woche waren die Banker in London ungewohnt fröhlich. Der überraschende Schneefall tauchte alles in unschuldiges Weiß, und auf dem Berkley Square flogen die von zarter Bankerhand geworfenen Schneebälle durch die Luft. Kurze Zeit später schickten ihre Unternehmen sie in den verfrühten Feierabend. Wegen des eintretenden Verkehrschaos. Gut möglich, dass die Stimmung bei so manchem aus der Branche wieder so gut ist wie bei jenem Wintervergnügen, haben doch einige Banken angekündigt, trotz der Finanzkrise, trotz der Staatshilfen, Boni auszuzahlen.

Es war der Sunday Telegraph, der von den Plänen der zum Teil verstaatlichten Royal Bank of Scotland (RBS) berichtete, trotz eines Rekordverlustes, ihren 177.000 Mitarbeitern Boni in einer Gesamthöhe von einer Milliarde Pfund (1,14 Mrd Euro) auszuschütten. Empörend findet man das in Großbritannien und lässt die politische Sprengkraft zünden. Finanzminister Alistair Darling kündigte sofort – und im gleichen Blatt – die Überprüfung des Managements und der Prämienzahlungen bei Banken an. Gestern nun sollten die ehemaligen Köpfe der RBS und einer weiteren teilverstaatlichten Bank, der HBOS, dazu befragt werden.

Was für ein Benehmen

Tatsächlich erscheint es eher ungebührlich als lauter, erst staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, nur um dann das Geld unter der Belegschaft weiterzuverteilen. Schließlich sind die Bürger ja nun die Besitzer der Banken und haben so das gute Recht, sich aufzuregen. Oder? Die Banken, und somit ihre Angestellten, benehmen sich nicht genügend bescheiden. Die Regierung verpasste bisher, Sack und Asche auszuteilen und die Bonuszahlungen zu deckeln. Wirklich erstaunlich aber ist weder die Empörung noch das, was sie auslöst.

Boni sind das Symptom eines Systems, das sich „Bankwesen“ nennt. Und diesem System geht es nicht gut. Aber noch besser als der, man beachte das Wort, Realwirtschaft, die auch in Großbritannien gerade dabei ist, abzuschmieren. Die Banker, die sich schließlich mit Geld und der Analyse der Realwirtschaft beschäftigen, wissen darum. Und ahnen deswegen schon längst: Es wird noch schlimmer. Schlimmer, als es jetzt schon ist. Geld ist schließlich ihre Geschäftsgrundlage.

Es herrscht ein harter Verteilungskampf um diejenigen, die sich damit auskennen, und um die Geschäftsbereiche, in denen es noch etwas zu holen gibt. Beispielsweise in der Vermögensverwaltung. Auch die Schweizer Bank UBS weiß das. Sie facht dieser Tage die Diskussion um Gehälter im System „Bank“ neu an. Gerade noch hatte sie einen Verlust von rund 20 Milliarden Euro im Vorjahr bekanntgegeben und die Staatshilfe der Schweiz in Höhe von über 25 Milliarden Euro in Anspruch genommen. Da macht sie dadurch Nachrichten, dass ihre Boni im Vergleich zum Vorjahr zwar kräftig sinken und sie Arbeitsplätze abbaut, sich dafür aber verstärkt in der relativ risikolosen Vermögensverwaltung engagieren möchte. Das kostet. Experten in diesem Bereich werden den Konkurrenten mit dem Versprechen abgeworben, ihnen ein weit höheres Gehalt zu zahlen.

Dieser umgekehrte Preiskrieg ist wieder typisch für das Bankensystem. Es ist und bleibt ein Haifischbecken. Keiner traut keinem, im Gegenteil. Der Staat zeigt sich in diesem System noch immer schwach. Das ist ein Krake, der nicht beherrscht wird, der seine eigene Logik kennt und auch trotz Krise in dieser Logik operiert. Weil es eben keine Alternative gibt zum System „Bank“.

Schmelzzeit

Der Schnee ist geschmolzen. Die britische Öffentlichkeit ist brüskiert, und auch die Schweizer Steuerzahler sind es. Auf Facebook geben sie ihrem Ärger eine Gruppe. „UBS Boni streichen“ hat bisher über 6.000 Mitglieder. Ein paar mehr also als die englische „No ifs and buts, pass the cuts“ von John Prescott, dem ehemaligen stellvertretenden Premierminister unter Tony Blair. Der gehören knapp über 5.700 Mitglieder an.

Alle beklagen die Unfähigkeit der Regierung. Ihre Steuergelder sehen sie dahinschmelzen wie den Schnee in den Straßen Londons. Teile Großbritanniens stehen schon unter Wasser.