: Von der Jahrhundertdürre zur Jahrhundertflut
Auf extreme Dürre in Eritrea folgt im angrenzenden Teil Sudans das schwerste Hochwasser seit 70 Jahren
BERLIN taz ■ Das schwerste Hochwasser seit 70 Jahren hat im Nordosten Sudans große Flutschäden angerichtet, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Seit über einer Woche steigen die Wasser des Flusses Gash, der aus dem Hochland von Eritrea durch die sudanesische Grenzstadt Kassala in einen Zufluss des Nils fließt. Tausende von Häusern wurden im 600.000 Einwohner zählenden Kassala von den Fluten weggerissen; nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes starben 12 Menschen. Die Hauptstraße in die 400 Kilometer entfernte Hauptstadt Khartum wurde zerstört, die Stromversorgung lahm gelegt. Hilfswerke weltweit haben Nothilfe zur Verfügung gestellt.
Auch andere Flüsse und Ortschaften der Region sind von außergewöhnlich heftigen Regenfällen und Überschwemmungen betroffen. Insgesamt bahnt sich nach Schätzungen von Hilfswerken und Regierung ein außergewöhnliches Hochwasser am Nil an. Das sudanesische Bewässerungsministerium rechnet damit, dass die Nilfluten erst Ende August ihren Höhepunkt erreichen werden.
Grund für die Fluten sind extrem schwere Regenfälle im Hochland von Eritrea und Nordwest-Äthiopien. Paradoxerweise herrschte dort vorher eine extreme Dürre, die in Eritrea als die schlimmste seit der Unabhängigkeit des Landes 1993 bezeichnet worden ist. In 70 Prozent des Landes fiel die Regenzeit des Frühjahrs aus, so dass keine Aussaat möglich war. Die Folge war eine Missernte und der Tod von zwei Drittel des Viehbestandes. Nach Angaben des Hilfswerks Oxfam sind 1,4 Millionen der 3,7 Millionen Einwohner Eritreas unmittelbar von Hunger bedroht. Andere Hilfsorganisationen schätzen die Zahl der Hilfsabhängigen auf zwei Drittel der Bevölkerung – die höchste Rate weltweit. Zur Koordination von UN-Hilfe für das Horn von Afrika setzte UN-Generalsekretär Kofi Annan Mitte Juli den Finnen Martti Ahtisaari als Sonderbeauftragten ein.
Im Sudan ist die Zeit um Ende Juli und Anfang August die, in der der Bedarf an Lebensmittelhilfe vor allem in den Kriegsgebieten des Südsudan jedes Jahr seinen Höhepunkt erreicht. Auch im Süden Äthiopiens grassiert nach Berichten von Hilfsorganisationen eine schwere Hungersnot. Die internationalen Hilfszusagen für Äthiopien gelten derzeit als ausreichend, Untersuchungen zufolge ist die südäthiopische Bauernbevölkerung jedoch in den letzten Jahren stark verarmt, weil Ankaufspreise für Agrarprodukte wie Kaffee fallen. Chronische Mangelernährung in Kombination mit schlechter Gesundheitsversorgung fördere die Ausbreitung von Aids und anderen Infektionskrankheiten, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichen UN-Lagebeschreibung; extreme Knappheit an Saatgut und Lebensmitteln führe dazu, dass immer mehr Familien ihre Kinder im Tausch für Nahrung hergeben. DOMINIC JOHNSON