Beifang in Öl auf dem Teller

40 Prozent von Nord- und Ostsee müssen sofort unter strikten Naturschutz gestellt werden, fordert Greenpeace. Lebensräume vor Überfischung und Umweltverschmutzung bewahren. Aktionen auf der Nordsee angekündigt

aus hamburgsven-michael veit

Der Mann kann einem wirklich den Appetit verderben. „Wenn Sie im Restaurant eine Scholle essen“, sagt Thomas Henningsen, „müssten Sie eigentlich noch neun weitere Teller bekommen – mit Beifang.“ Babyflundern und Fischeier, Krebse und Seesterne zählt der Meeresbiologe der Umweltschutzorganisation Greenpeace auf, all das unerwünschte Getier eben, was beim industriellen Fischfang mit in die Netze geht und wieder über Bord geworfen wird. 700.000 Tonnen Meereslebewesen werden so Jahr für Jahr in Nord- und Ostsee tot oder verletzt in ihr nasses Grab geschüttet. Das, sagt Henningsen, „muss gestoppt werden“.

40 Prozent der beiden Meere vor Norddeutschlands Küsten müssen „sofort und strikt“ unter Schutz gestellt werden, fordert Greenpeace. Mit einer internationalen Kampagne, welche die Umweltschützer vom Hamburger Fischmarkt heute zeitgleich in Großbritannien, Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und eben Deutschland starten, soll dieser Forderung Nachdruck verliehen werden.

Denn die bisherige Meeresschutzpolitik der EU „hat nicht viel bewirkt“, bilanziert Henningsens Kollegin Iris Menn. „Thunfische gibt es seit 40 Jahren nicht mehr in der Nordsee“, sagt die Meeresbiologin, „und bald auch Kabeljau und Dorsch nicht mehr“. Deren Bestände seien in wenigen Jahrzehnten um 90 Prozent zurückgegangen, die einstigen „Brotfische Nordeuropas“ werden zu bedrohten Arten – das Ergebnis einer „zerstörerischen Fischindustrie“. Den Meeresboden „pflügt sie mit Grundschleppnetzen wie einen Acker um“, sagt Menn, „keines der Lebewesen, das da hineingerät, hat eine Chance“.

Den Überlebenden drohen Schiffe und Umweltverschmutzung den Rest zu geben. Der zunehmende Schiffsverkehr auf beiden Meeren und die Öl- und Gasförderung in der Nordsee sind laut Greenpeace ökologische Risiken ersten Ranges. Etwa 15.000 Tonnen Öl aus Tankern, anderen Schiffen und von Bohrtürmen verseuchen Jahr für Jahr das Wasser, zudem ungezählte Mengen giftiger Bohrschlämme: „Beiden Meeren geht es schlecht“, sagt Menn, „und die Nordsee ist ein reines Industriegebiet.“

Um zu retten, was noch zu retten ist, müssten die großflächigen Schutzgebiete „sofort ausgewiesen werden“. Öl- und Gasförderung, Fischerei, Sand- und Kiesabbau sowie militärische Tests seien in diesen Arealen zu verbieten, fordert Greenpeace, in speziellen „Kernzonen“ wie Laichgründen oder Kinderstuben von Fischen und Delphinen müsse „jegliche menschliche Aktivität untersagt werden“. Nur so könnten beide Meere und deren Flora und Fauna regenieren. Und in ein paar Jahren wieder Dorsch und Kabeljau gefangen werden.

Um Druck auf Politik und Wirtschaft auszuüben, wird Greenpeace eine kleine Armada entsenden. Heute läuft aus London das Flaggschiff der Organisation, die „Esperanza“ (zu deutsch: Hoffnung) in die Nordsee aus, drei weitere Schiffe sollen nächsten Monat folgen. Zunächst würden „ein paar wissenschaftliche Untersuchungen gemacht“, sagt Henningsen. In einer zweiten Phase „greifen wir dann zu anderen Mitteln, über die ich jetzt nicht reden möchte“. Greenpeace habe ja, lässt er durchblicken, „Erfahrung mit effektiven Einsatzmethoden“.

Karten und weitere Infos unter www.greenpeace.de/schutzgebiete