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Archiv-Artikel

„Wir sollten erst einmal unsere Ignoranz zugeben“, sagt Jean-François Bayart

Nicht nur angesichts der Flüchtlinge aus Sudan zeigt sich: Europa hat kein Konzept für eine realistische Afrikapolitik

taz: Monsieur Bayart, die deutsche und auch die europäische Afrikapolitik wird immer öfter kritisiert. Zu Recht?

Jean-François Bayart: Das Problem ist: Die Komplexität der afrikanischen Gesellschaft ist ungeheuer. Daher sollten wir zuerst einmal unsere Ignoranz zugeben. Wir haben weder den richtigen Riecher noch das richtige Know-how, um konkret hilfreich zu sein. Nicht als Geldgeber und auch nicht als Verfasser von Programmen.

Wenn das so ist, dann müssen wir also einfach auf die Afrikaner vertrauen?

In der Tat sollten wir uns von dem Glauben lösen, dass das Licht nur von außen kommen kann. Dies haben wir seit einem Jahrhundert ohne Erfolg geglaubt. Heute predigen wir die heilige Botschaft der Zivilgesellschaft und Good Governance. Doch: Veränderungen können nicht von außen durchgesetzt werden. Sie werden in Afrika aus Revolutionen hervorgehen. Dabei sollten wir uns nicht vor dem Chaos fürchten und nur aus Gründen der Stabilität autoritäre Regime unterstützen. Sonst läuft es wie bei Mobutu. Man dachte: Mobutu oder das Chaos. Was wir bekommen haben, ist Mobutu und Chaos. Ich plädiere dafür, endlich das Konzept der Entwicklung fallen zu lassen und statt dessen Politik gegenüber Afrika zu machen.

Was soll das denn heißen: Politik gegenüber Afrika machen?

Der Unterschied zwischen Entwicklungspolitik und Außenpolitik ist, dass Letztere annimmt, dass der Partner souverän ist.

In diesem Fall kann man ja Afrika getrost sich selbst überlassen – egal was geschieht. Oder?

Nein. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es gibt viele Wege, sich solidarisch mit Afrika zu zeigen. Etwa in der entscheidenden Frage der Sicherheit. Man muss intervenieren, wenn es notwendig und unausweichlich ist. Ich war sehr zögerlich bei der französische Intervention in der Elfenbeinküste. Immerhin wurde sie politisch akzeptabel, da Frankreich ein Mandat der UNO hatte. Ich verfüge in dieser Frage über keine feste Religion. Aber zumindest sind ein UNO-Mandat und die Teilnahme mehrerer Europäer erforderlich. Und ein Prinzip: keine wirtschaftliche Hilfe mehr für ein Land, das in einen Krieg involviert ist.

Das würde in Zentralafrika viele Länder betreffen …

Ja, alle Programme würden aufgehoben. Das ist die einzige Lösung, damit der Krieg teuerer wird als der Frieden. Zurzeit ist das Gegenteil der Fall. Der Krieg erlaubt den Ländern, Veränderungsdruck zurückzuweisen. Wenn Krieg herrscht, spricht keiner mehr von Strukturreform.

Ihre afrikapolitischen Vorschläge beschränken sich also auf die Sicherheitspolitik?

Zudem brauchen wir eine neue europäische Immigrationspolitik, die den Arbeitsmarkt so liberalisiert und flexibilisiert wie den Kapitalmarkt. Ich kann die Argumentation nicht mehr hören, die die Afrikaner zum Bleiben in ihren Ländern auffordert. Sind denn nicht Hunderttausende Deutsche, Polen, Iren, Engländer nach Amerika ausgewandert? Wäre Europa heute dynamischer, wenn sie damals in Europa verhungert wären? Zurzeit wird alles gemacht, um die Afrikaner, die jungen Afrikaner, wütend zu machen. Diese Politik ist idiotisch und gefährlich.

Mit Nepad, dem gemeinsamen Programm Afrikas und der G-8-Staaten, haben die afrikanischen Länder einen Weg der Reformen vorgeschlagen und sich damit wie souveräne Partner verhalten. Oder?

Der wievielte Plan dieser Art ist dies? Wieder einmal wird ein Plan beschlossen, der nur da ist, um gutes Gewissen zu verbreiten: Wenn Sie 40 Räuber damit beauftragen, sich gegenseitig Kaution zu gewähren, werden Sie nicht viel bewegen! Man muss auch wissen, dass dieser Plan weitgehend von englischen Experten geschrieben wurde. So viel zur Afrikanischen Renaissance … die meisten Länder Afrikas erkennen sich nicht in diesem Plan wieder. Na ja, konkret passiert sowieso nichts.

Kann Europa eine Rolle bei einer Neuorientierung der Afrikapolitik spielen?

Europa wird gebraucht, weil die heutigen Probleme Afrikas so gravierend sind, dass kein europäisches Land sie alleine lösen kann. Auch Frankreich nicht. Wir sind alle oder werden alle von den Problemen Afrikas betroffen sein. Das afrikapolitische Engagement der anderen Europäer könnte Frankreich sogar helfen, sich von seinen alten Dämonen in Afrika zu befreien. Damit habe ich nicht gesagt, dass die Afrikapolitik Frankreichs per se schlecht ist. Das Land verfügt über ein wichtiges Wissen in Sachen Afrika und über viele gewachsene Verbindungen.

Welche Rolle kann Deutschland spielen?

Ich glaube, dass der Deal zwischen Frankreich und Deutschland – ich unterstütze dich in der Afrikapolitik und du lässt mich in Zentraleuropa in Ruhe – ein großer Fehler war. Wenn die europäischen Partner sich zudem mehr in der Afrikapolitik engagieren würden, könnte man die Gefahr von neokolonialem Bilateralismus verbannen. Was schließlich wirklich ein Problem bedeutet, ist Brüssel. Bei der zuständigen Kommission für Entwicklung verweilen nicht die Besten – auch wenn es ein paar gute Leute gibt. In den Ländern Afrikas verhandeln mit Europa die Besten, und vor sich haben sie oft die Schlechtesten. Sie wissen genau, dass man sie nicht ernst nimmt. INTERVIEW:ARMIN OSMANOVIC/ODILE JOLIES