: Als meine Onkel die Revolution bejubelten
OMID NOURIPOUR, 33, geboren in Teheran, kam im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie nach Frankfurt. Er rückte 2006 für Joschka Fischer in den Bundestag nach.
VON OMID NOURIPOUR
Zwei Onkel haben mich Lesen und Schreiben gelehrt. Der eine war mein Stiefonkel Hassan, der ab und an auf mich aufgepasst hat, da meine Eltern beide berufstätig waren. Dabei brachte er mir alle 32 Buchstaben des iranischen Alphabets bei. Der andere hieß nur „der Onkel“, war ein weißbärtiger Grundschullehrer, der singend und Geschichten erzählend im einzigen Fernsehkanal des Irans kurz nach der Revolution für die erste Klasse unterrichtete. Dieses schnell improvisierte Programm war notwendig geworden, da die Schulen erst einmal geschlossen blieben.
Beide Onkel starben kurz nacheinander. Der Fernseh-Onkel an einem Herzinfarkt, direkt nach Beendigung der Dreharbeiten. Seine Sendung wurde noch Jahre später im Staatsfernsehen gezeigt und hat nicht nur Kinder, sondern auch so manche Kleinstadt-Großmutter zu Alphabeten gemacht. Hassan wurde nach dem Schnellurteil eines Revolutionsgerichts – noch keine zwanzig Jahre alt – hingerichtet, weil er die falschen Flugblätter verteilt hatte.
Beide Onkel waren bis zum Tag des Sieges glühende Anhänger der Revolution. Hassan hatte gesehen, wie seine Klassenkameraden von der Savak, der Geheimpolizei des Schah-Regimes, abgeführt wurden, ohne dass er sie je wiedersah. Der Fernseh-Onkel, weniger politisch motiviert, wirkte wie befreit darüber, dass er ein Volk unterrichten konnte, das zur Hälfte aus Analphabeten bestand.
Korruption, Armut, Landflucht, politische Unterdrückung: Wer war damals nicht für die Revolution? In meiner Verwandtschaft (fast) alle. Ich erinnere mich an das wütende Weinen meiner Mutter, an die tiefe Trauer meines Vaters, nachdem die Armee des Schahs an einem belebten Platz das Feuer auf eine friedliche Demonstration eröffnet hatte. Ich erinnere mich an die Freudentränen meiner Großmutter, als der Revolutionsführer Ajatollah Chomeini aus dem Exil nach Teheran zurückkehrte und in einer bewegenden Rede allen Menschen politische Freiheiten und kostenlosen Strom und Heizöl noch dazu versprach. Haben Sie Marjane Satrapis geniales Werk „Persepolis“ gelesen oder gesehen? Genau so war es damals. Für alle. Alle glaubten Chomeini.
Onkel Hassan erlebte nicht mehr die Hunderttausende von Toten des Krieges mit dem Irak. Er sah nicht mehr, wie seinem eigenen 70-jährigen Onkel, der als Freiwilliger an der Front fiel, als „Märtyrer“ eine Straße gewidmet wurde. Hassan sah nicht, wie sein Bruder als Soldat als einer von wenigen in Halabdscha „Glück“ hatte und Saddam Husseins Giftgasangriff überlebte. Er sah nicht die Rückkehr der Korruption, der Armut und der Landflucht. Er wurde kurz nach der Einführung des Kopftuchzwangs für die Frauen und deren Verbannung aus öffentlichen Ämtern hingerichtet.
War die Revolution richtig? Ja. Doch danach wurde es schlimmer. Nur darauf können sich Revisionisten bis heute berufen, wenn sie die Schah-Zeit glorifizieren. Der Fernseh-Onkel würde heute wahrscheinlich Freudengesänge anstimmen, wenn er sehen könnte, dass die Alphabetisierungsrate mittlerweile bei knapp 80 Prozent liegt. Die Geschichte zeigt: Wer sich bildet, lässt sich nicht auf ewig unterdrücken. Damit ist der Grundstein gelegt für eine (hoffentlich nicht allzu ferne) Zukunft des Irans in Freiheit.