: „Mich regen die Feiglinge auf“
Freya Klier
Linke Wut ist ihr sicher: Freya Klier, 53, gilt mal als „nervend“ und „Leipziger Kampfkommando“ (junge Welt), mal als „stramm rechts“ (jungle world). Die Schriftstellerin und Regisseurin ist eben nie davor zurückgeschreckt, sich Feinde zu machen. Geboren in Dresden, erhielt sie schon kurz nach ihrem Abitur 16 Monate Haft – wegen versuchter „Republikflucht“. Es folgte ein widerständiges Leben als Schauspielerin und Regisseurin. 1988 wurde sie mit Stefan Krawczyk ausgebürgert. Doch die DDR lässt sie nicht los: Am Mittwoch, dem 42. Jahrestag des Mauerbaus, zeigt das Haus am Checkpoint Charlie um 19 Uhr ihre Dokumentation „Das kurze Leben des Robert Bialek“. Sie will dabei sein.
Interview PHILIPP GESSLER und ADRIENNE WOLTERSDORF
taz: Frau Klier, Sie wohnen schon lange nicht mehr im Osten, sondern in Steglitz, wo der alte Westen noch recht lebendig ist. Ist das absichtsvolle Ferne?
Freya Klier: Ich wohne hier wegen der Post …
Wie bitte, wegen der Post?
… zumindest in den ersten Jahren: In den Ämtern saßen ja überall noch die alten Genossen. Wenn ich in den Osten schrieb oder Post bekommen sollte, fehlte jede dritte Sendung. Da saß vielleicht ein einziger Mensch bei der Post, der sich dachte, ach, diese blöde Kuh, kritisiert immer Gysi – weg damit! Rathenow, Bohley, denen ging’s auch so.
Heute kriegen Sie ihre Post, aber Sie sind in Steglitz geblieben. Ist das Ihre neue Heimat?
Ja. Dass ich hier gelandet bin, ist Zufall. Erst wohnte ich in Kreuzberg, dann hab’ ich was Ruhigeres gesucht, eine Ecke, wo nicht jeder, der gerade in Berlin ist, mich besuchen kommt. Früher kam jeder vorbei. Ich treffe auf meinen Lesereisen ja tausende von Menschen.
Analysieren Sie Ihre neue Umgebung mit demselben kritischen Blick wie die alte DDR-Gesellschaft?
Ja. Ich möchte, dass die Menschen wach sind zueinander, hilfsbereit. Das hängt ja nicht vom Gesellschaftssystem ab.
Ist das Vergangene, die DDR, noch das große Thema?
Ach, im Privatleben spielt das überhaupt keine Rolle. Meine Arbeitsthemen sind DDR, Deutsch-Deutsches, Drittes Reich. Im Moment arbeite ich an einem Buch über die nach Neuseeland geflohenen deutschen Juden. Thematisch stehe ich eben für eine bestimmte Position, wo auch eine große Nachfrage da ist, weil fast alles, was ich geschrieben habe, auch eingetreten ist.
Was zum Beispiel?
Im Vorwort meines Buches „Lüg Vaterland“, also des Erziehungsbuches, steht zum Beispiel, dass sich die beiden Deutschland lange fremd bleiben werden. Das habe ich mitten in die Wiedervereinigungseuphorie im Februar 1990 hinein geschrieben. Den Vormarsch der PDS habe ich natürlich auch vorausgesehen.
Leiden Sie daran, dass ausgerechnet hier in Berlin die PDS an der Macht ist?
Ich leide nicht, weil die sich ja selber erledigen. Da kommt ja nüscht. Ich leide nie unter denen, die da irgendwo politisch tätig sind, sondern darunter, dass Menschen sich nicht engagieren. Mindestens die halbe Stadt findet Rot-Rot beschissen, viele beschweren sich bei mir, aber sie tun nichts.
Was sollen sie denn machen?
Keine Demonstrationen, sondern die offene Auseinandersetzung suchen und nicht stumm vor sich hinklagen. Nebenbei bemerkt, finde ich Wowereit gar nicht so schlecht.
Der hat aber Ihren Lieblingsfeind, Gregor Gysi, zum Wirtschaftssenator gemacht.
Ja, das war übel, damit habe ich mich auch ganz scharf auseinander gesetzt. Aber – als der Job in Arbeit ausartete, das bringen Sie bitte mit rein, hat Gysi recht bald das Handtuch geworfen. Arbeit stand nun mal an, nicht schwatzen.
Mal ehrlich, als er abtrat, das war doch ein Fest für Sie?
Nicht nur für mich. Ich ahnte es, er wurde ja immer stiller. Plötzlich hatte der Berge von Akten vor sich, das ist nichts für Gysi.
Warum arbeiten Sie sich mit solch einer Bitterkeit an ihm ab?
Das ist, glaube ich, keine Bitterkeit. Mich regen viel mehr die Feiglinge in diesem Land auf, und das Land ist voll davon, die ihm immer wieder die Räuberleiter machen.
Zum Beispiel?
Er hat Angst, mit mir öffentlich aufs Podium zu steigen. Er sagt alles ab, wo ich auch bin. Das habe ich sogar schriftlich. Schon Mitte der 80er-Jahre, als Stefan und ich Berufsverbot bekamen, habe ich ihn als Anwalt abgelehnt. Ich hatte sofort das Gefühl, der sei von der Stasi. Es gab doch keine freien Rechtsanwälte in der DDR. Wir sind dann trotzdem nach Lichtenberg in sein Büro gegangen, weil uns unsere Bürgerrechts-Freunde besorgt drängten. Da war der ganz unsicher, die Äuglein huschten. Ein fischiger Typ.
Und was machen die Feiglinge, die Sie ärgern?
Na ja, ich werde ausgeladen, weil Gysi höhere Einschaltquoten bringt. Dafür besprechen sie dann lang und breit mein Buch. So läuft es. Immer. Darüber bin ich wütend. Egal ob in Ost oder West, die Medien und Verlage sind so feige.
1999 kam es aber aufgrund eines Missverständnisses doch zufällig zu einer gemeinsamen Podiumsdiskussion mit Gysi.
Da stand aber dann auch hinterher im Neuen Deutschland: Gysi hatte keine Chance. Dabei habe ich nur mal aufgezählt, welche Wirtschaftskriminalität die PDS, die Staatssicherheit und ihre ganzen Unterorganisationen in der Wendezeit durch massenhafte GmbH-Gründungen vorgenommen haben. Die Zahlen dazu liegen ja im Bundestag. Da hat Gysi allergisch reagiert. Übrigens, die ganze PDS-Führung sagt ab, wenn da jemand sitzt, der gut ist. Darüber sollte man mal reden.
Wie lange geben Sie der PDS überhaupt noch?
Die ändern ständig ihr Programm, man weiß nicht, was sie wollen. Da is nüscht mehr. Die tragen ja auch bestimmte Begriffe wie Sozialismus nicht mehr. Dass viele nicht PDS wählen, dafür sorge auch ich.
Indem Sie in Schulen lesen und diskutieren?
Ja, und wenn ich in Schulen in Frankfurt (Oder) oder sonstwo gewesen bin, wählt hinterher keiner mehr PDS. Weil ich sage, wer sie sind, woher sie kommen, und frage: Warum seid ihr so blöd, darauf reinzufallen.
Gestehen Sie denn den Jungen Erneuerungspotenzial zu? Zum Beispiel dem Berliner PDS-Chef Stefan Liebich, der ist erst 30 Jahre …
Bitte schön, wie können sich denn Leute in einer Partei erneuern, die Massen von Menschen auf dem Gewissen hat. Physisch! Unter anderem meinen Bruder, viele meiner Freunde haben sich umgebracht, hunderttausende wurden eingelocht. Warum soll ich da junge Leute gut finden, die offensichtlich zu faul sind, sich mit der Geschichte dieser Partei zu beschäftigen? Es reicht nicht zu sagen, ach, da waren wir noch zu jung! Das kann ich überhaupt nicht akzeptieren. Auf einer faulen Wurzel kann man doch nichts aufbauen. Ich kann die Leute gar nicht ernst nehmen … Mensch, das ist ja ein richtiges PDS-Interview. Schön! Lange nicht gehabt.
Verwirrend ist aber für junge Menschen, dass die PDS, die Gewerkschaften, die SPD und auch Freya Klier alle von sich sagen: Wo ich bin, ist links.
Die besetzen links einfach. Das geht so seit 1917. Für mich ist links etwas sehr Positives, deshalb gehört da weder Lothar Bisky drauf oder sonst jemand, der irgendetwas mit Stasi zu tun hatte – weg!
Was ist denn „links sein“?
Ich hab’ für mich eine Antwort gefunden. Freiheit, Brüderlichkeit, Solidarität mit den Schwächeren. Die Uridee dessen, da finde ich mich wieder. Rosa Luxemburg ist für mich ’ne Linke. Wer sich alles als links sieht, hat mich noch nie interessiert. Ich hab’ einen Maßstab und daran messe ich Leute.
Ist Ihr Maßstab nicht auch eine Anleitung zum Unglücklichsein?
Sehe ich unglücklich aus? Links oder rechts, das sagt über Menschen nicht wirklich etwas aus. Politiker werden meinem Maßstab kaum gerecht, deshalb bin ich nicht in die Politik gegangen. Mit meinem Engagement für die Abschaffung von Diktaturen in der Welt, für Menschenrechte, gegen Atomkraft etc. habe ich eine andere Form gewählt.
Auf Ihrer Homepage im Internet schreiben Sie: „Du sollst dich erinnern“, als 11. Gebot. Genießen Sie bei DDR-fernen Themen die gleiche Glaubwürdigkeit?
Ich habe Bücher zum KZ Ravensbrück und zur Deportationsgeschichte deutscher Frauen nach Sibirien geschrieben. Ich greife Themen auf, die entweder tabuisiert oder in Vergessenheit geraten sind, weil sich niemand für sie stark macht.
Macht sich denn niemand für die deutsch-deutschen Themen stark?
Doch, und wir werden uns noch lange damit beschäftigen müssen. Der Westen tut sich aber schwer mit dem Verständnis der osteuropäischen Gesellschaftsstrukturen. Leider geht er an den Osten heran wie ein Halma-Spieler an ein Schachspiel.
Mit „Good by Lenin“, 30 Jahre Weltfestspiele und dem Run auf die Ausstellung der DDR-Kunst bekommt man den Eindruck, dass es ein neues Interesse für die DDR gibt.
Ja, die DDR ist gerade ein bisschen hip, das finde ich eher o.k. Obwohl „Good bye Lenin“ eigentlich mit der wahren DDR nichts zu tun hat. Aber es ist nett.
Wie finden Sie diese Jana-Hensel-Nostalgie? Junge Autoren, die sich nach ihrer Kindheit in der DDR zurücksehnen?
Wieso soll sie denn keine Sehnsucht haben? So jemand wie Jana Hensel weiß doch gar nicht, was 40 Jahre DDR waren, die kennt nur die 80er-Jahre. Da kann sie über ihre schöne Schul- oder ihre tolle Kindergartenzeit schreiben. Die DDR war ja kein Kinderquälstaat! Gut, da kommt jetzt was, was schick ist. Für einige ist das auch eine Bearbeitung von Unbekanntem. Die sollen das ausleben und erkunden. Und dort, wo eine Chance ist, soll man ihnen auch sagen, was die DDR wirklich war.