: Unterwegs mit dem Starship Coach
Wo Bill Viola nur mit Wasser kocht und die Zigarettenpause zum Konzept für Erzählformen wird: Das „Forum expanded“ zeigt an nicht weniger als zwölf Locations 38 Künstler und Künstlerinnen mit neuen Videos, Installationen, Animationen und Filmen, die in Gemälde einsteigen
VON BRIGITTE WERNEBURG
Es ist harte Arbeit, aber es macht Spaß: Zum vierten Mal expandiert das „Internationale Forum des Jungen Films“ nun in die zeitgenössische Kunst. Kuratiert von Stefanie Schulte-Strathaus nimmt das Kino die Kunst mit ihrem besonderen, genreübergreifenden Mediengebrauch mit ins Boot der Berlinale, was dann aber heißt, dass man an zwölf verschiedenen Orten aufkreuzen muss, um die Arbeiten von 38 Künstlern und Filmemacherinnen zu sehen.
Glücklicherweise gibt es für das interessierte Publikum geführte Touren, einige davon – etwa die mit der afroamerikanischen Dragqueen Vaginal Davis oder der CHEAP-Performerin Susanne Sachsse – sind eigens als Performance konzipiert.
Trotz dem schicken schwarzen Bus, der sich Starship Coach nennt: Nach vier Stunden Tour ist man erledigt – und fühlt sich dennoch erfrischt. Angeregt von der Menge neuer Videos, Filme, Animationen und Installationen und davon, dass man einen bemerkenswerten Künstler entdeckt, die Arbeiten eines anderen, seit langem berühmten Künstlers aber wieder einmal für vernachlässigbar befunden hat.
45 Jahre lang gefilmt
Der eine ist Ludwig Schönherr, der während der letzten 45 Jahre unablässig gefilmt, fotografiert und ästhetische Theorien produziert hat, ohne etwas davon in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der andere ist Bill Viola, der inzwischen alle seine Protagonisten ständig unter Wasserfälle stellt, die aus dem Nichts zu kommen scheinen.
Wirklich wie aus dem Nichts aber tauchen Ludwig Schönherrs „Elektronik Filme“ auf, abgefilmtes Fernsehen vom Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre, durchsetzt von flackernden Farbkadrierungen; oder sein 107-stündiges „Visuelles Tagebuch“ auf Super 8, von dem am Samstag 720 Minuten, also 12 Stunden im Arsenal zu sehen sein werden. Daneben hat er im Erdgeschoss des Filmhauses am Potsdamer Platz eine Installation aufgebaut: „Stupide Strukturen, glückliche Strukturen. Sonata für vier Fernseher“ – die, zur Straße hin gestellt, am besten nachts besucht werden sollte. In der Halle A/14 in der Heidestraße rundet sich der Werküberblick mit Fotos, weiteren Fernsehflickerfilmen, einer Uhrensammlung und auf zwei Schreibmaschinenseiten hingeworfenen Kurztheorien zum Film und zu Kunst ab.
Metaphysischer Drall
Vis à vis ist die Galerie Haunch of Venison, wo Bill Viola auch nur mit Wasser kocht, um es mal so zu sagen. Weil es seine Filme auch als Auflagenobjekt in kleinen, edlen Flachbildschirmen gibt, wissen wir wenigstens über die Zukunft der privaten Fotosammlung auf dem Kamin Bescheid: Die elektronischen Bilderrahmen zeigen dann eben unsere Lieben bei der morgendlichen Dusche.
Als eine merkwürdige Symbiose aus Viola und Schönherr entpuppte sich übrigens im Nachhinein Michael Snows Eröffnungsbeitrag. Für „Puccini Conservato“ filmte der Ehrengast des diesjährigen Forum expanded eine Musikanlage, aus deren Boxen eine Puccini-Arie dringt. Durch unvermittelt hereinflackernde Bilder von Feuer, Erde und Wasser aber gewinnt das Filmbild dann einen schwer metaphysischen Drall. So stellt man es sich eher nicht vor, dass die Künstler des Forum expanded dort weitermachen, wo sich der Experimentalfilm – schon in den 80er- oder erst in den 90er-Jahren? – totgelaufen hat.
Glücklicherweise an Michael Snows 45-minütigen Zoom durch ein Loft, „Wavelength“ von 1967, knüpft Sharon Lockharts „Lunch Break“ an. Die von vielleicht zehn auf 83 Minuten verlangsamte Zoomfahrt durch einen Fabrikkorridor, an 42 Arbeitern vorbei, die Mittagspause machen, hat Diedrich Diederichsen ja vor ein paar Tagen auf die Schnittstelle Kino und Gemäldegalerie und die Eroberung des Raums in der frühen Malerei gebracht. Aber auch Juliane Zelwies hat die Schnittstelle Kino Gemäldegalerie schon entdeckt, wie ihre 5-Kanal-Video-Installation „Meisterwerke“ im Filmhaus zeigt. Statt der kunsthistorischen Betrachtung oder der Kamerafahrt ins Bild hinein und wieder heraus, mit der der Film gerne das Gemälde traktiert, hat sie sich der Interpretation durch eine spezielle Form des Psychodramas bedient. Und so rekonstruiert sie Jaques-Louis Davids „Schwur der Horatier“ (von 1784) in einer sogenannten Familienaufstellung.
Idee Zigarettenpause
Wie viele gemalte Bilder es umgekehrt braucht, um filmisch nur ein kleines Stück Raum zu konstruieren, zeigt der „Cartoon“ von Stephen Andrews in der Wilde Galerie. Das scheinbar verpixelte Handy-Video, in dem ein SUV-Vehikel mit einem irren Zahn durch die Pampa staubt, um am Ende fahrzeuggerecht mit einem Stück Wild zu kollidieren, besteht aus 400 nach Fotovorlagen vom Künstler selbst kolorierten Zeichnungen.
„Dafür zu sorgen, dass nichts passiert“, darin sieht Pavel Büchler ganz entgegengesetzt die Aufgabe der Kunst – und darin, dass es hin und wieder eine Zigarettenpause gibt. Französisch geschrieben, aber englisch ausgesprochen ist Büchlers „l’imitation“ bei Tanya Leighton eine der gelungensten Expansionen des Forums. Denn dem tschechischen Künstler, der an der Universität Manchester lehrt, geht es erst einmal ganz grundsätzlich um eine Neuerfindung des Geschichtenerzählens, mit Hilfe alter Technologien, Tonaufnahmen und Licht. Oder wie jetzt, mit alten Diaprojektoren, wie sie im kunsthistorischen Seminar einmal gang und gäbe waren. Sie projizieren sowohl Text, wie sie sich selbst als Bild an die Wand werfen. Obwohl Büchler formal-ästhetisch am weitesten von jedem noch so expanded cinema entfernt ist, ist er mit seiner Idee vom Geschichtenerzählen, vom Namennennen und Zigarettenpausenmachen gleichzeitig dem Kino wieder am nächsten.
Public Tours am 12., 13. 14. und 15. 2. jeweils 12 Uhr; Treffpunkt: Filmhaus, Basement, begrenzte Teilnehmerzahl, wer zuerst kommt, ist dabei