: Steuerstreit spaltet Österreichs Regierung
Während die ÖVP eine Reform erst für das Jahr 2005 anpeilt, drängt der Koalitionspartner FPÖ auf Vorverlegung. Vor allem Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider spielt sich dabei mal wieder als Anwalt des kleinen Mannes auf
WIEN taz ■ Manchen österreichischen Steuerzahler plagt in diesen Tagen ein Déjà-vu-Erlebnis: Die Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ streiten seit Wochen um den Zeitpunkt einer Steuerreform. Während Kanzler Schüssel den Moment für eine Steuerentlastung erst 2005 gekommen sieht – so steht es im Koalitionsabkommen –, plädiert Jörg Haider zwecks Konjunkturbelebung für eine Vorverlegung auf 2004. Da trifft er sich mit der Opposition, die für morgen eine Sondersitzung des Nationalrats einberufen hat. Thema: die Dringlichkeit einer Steuerreform.
Man erinnert sich: Nach dem Hochwasser vor einem Jahr erklärte die Regierung, angesichts der unerwarteten Budgetbelastung sei eine Steuerreform 2003 nicht leistbar. Sie müsse um ein Jahr verschoben werden. Haider hielt dagegen, provozierte den Rücktritt des FPÖ-Regierungsteams und schließlich den Kollaps der Koalition.
Auch jetzt mehren sich die Stimmen genervter ÖVP-Politiker, die lieber das Risiko von Neuwahlen eingehen als weiter mit der unberechenbaren FPÖ leben wollen. „Was Jörg Haider und sein Team aufführen, ist dem Koalitionspartner auf Dauer nicht zumutbar“, grollte Kärntens ÖVP-Chef Georg Wurmitzer. Mit einer Abgabenbelastung von 44,7 Prozent des BIP liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld. Nur in Skandinavien und Belgien werden Steuerzahler noch heftiger zur Kasse gebeten.
Nach dem Anziehen der Steuerschraube durch Finanzminister Karl-Heinz Grasser ist eine Erleichterung – da sind sich alle Parteien und die Wirtschaft einig – längst fällig. Sie wurde für 2005 zwischen ÖVP und FPÖ vereinbart. „Das Regierungsprogramm ist eine Art Bibel für unsere Zusammenarbeit“, erklärte der gläubige Kanzler zuletzt. Den Vorwurf wahltaktischer Überlegungen – dass die Entlastung just zum nächsten ordentlichen Wahltermin 2006 spürbar wäre – weist er zurück. Man wolle keine Reform auf Pump machen, heißt es unisono in der ÖVP. Dass das Projekt auch 2005 nur durch höhere Neuverschuldung finanziert werden kann, lässt man als Gegenargument nicht gelten.
Auch Jörg Haider schielt bereits auf Wahlen. Er muss sich im nächsten Frühjahr seiner Wiederwahl als Landeshauptmann von Kärnten stellen. Wenn der derzeitige Trend anhält, muss er seinen Posten an die SPÖ abgeben. Also wirft er sich wieder als Fürsprecher des „kleinen Mannes“ in die Debatte und fordert vehement die sofortige Entlastung der Masseneinkommen.
SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer griff den Disput dankbar auf. Bei einer Sondersitzung des Parlaments könne die FPÖ beweisen, dass sie es ernst meine. Dass dort der Koalitionsbruch vollzogen wird, erwartet niemand. FPÖ-Chef Herbert Haupt, zerrissen zwischen Einflüsterungen aus Kärnten und Koalitionsdisziplin, versicherte verärgert, man werde „nicht die Schmutzarbeit der SPÖ“ erledigen. Inzwischen wurde innerparteilich eine Formel gefunden, die von der ÖVP nur geringes Einlenken fordert. Auf den nächsten Akt der Koalitionskrise darf man gespannt sein: Ende September gibt es Landtagswahlen in Tirol und Oberösterreich, wo auch von der ÖVP die Bundespolitik als Belastung empfunden wird. RALF LEONHARD