: Rürups reiner Rentenwein
Der Rentenpapst wirft der Regierung vor, die Bevölkerung über das wahre Ausmaß der Einschnitte im Unklaren zu lassen. Der Experte, der selbst an allen Kürzungsrunden beteiligt war, beziffert die Einbußen auf vierzig Prozent bis zum Jahr 2030
von HEIDE OESTREICH
Es ist eine grandios klare Zahl: Wer 2030 in Rente geht, so Sozialkommissionschef Bert Rürup am Wochenende, bekommt 40 Prozent weniger als die Rentner von 1992. Dass gerade Rürup per Zeitungsinterview darauf aufmerksam macht, ist kurios. Schließlich hat er selbst verschiedene Rentenkürzungen mit erfunden – und er wird am 28. August Vorschläge für weitere Einschnitte präsentieren.
Für eventuell verarmende RentnerInnen der Zukunft möchte er dennoch nicht verantwortlich sein. Deshalb verweist er vorsichtshalber auf die anderen. „Die Politik“, so Rürup in der Berliner Zeitung, „hatte leider nicht den Mut, den Leuten reinen Wein einzuschenken hinsichtlich der Konsequenzen der ergriffenen Maßnahmen.“
Mit den „Maßnahmen“ meint Rürup diverse Kürzungsrunden. So richtet sich das Niveau der Rente seit 1992 nicht mehr nach den Brutto-, sondern nach den Nettolöhnen. Rürup errechnet daraus einen Verlust von 30 Prozent. Walter Riesters Rentenreform samt Ausgleichsfaktor, „modifizierter Nettolohnanpassung“ und Privatvorsorge soll nochmals ein Minus von 7 Prozent bewirkt haben. Das Heraufsetzen der Altergrenzen bedeutete eine Kürzung von weiteren 3 Prozent.
Beitragszahler, die ab 2030 in den Ruhestand gehen, bekommen demnach nur noch gut halb so viel Rente wie ihre Eltern – aber die Politik lasse sie darüber im Dunkeln, so Rürup. Zwar lastet der Experte den Löwenanteil der Misere der Kohl-Regierung an, aber von Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) fordert er explizit Aufklärung. Nur mittels detaillierter Rentenauskünfte werde den Versicherungsnehmern klar, was sie im Alter wirklich erwarten könnten und wie dringend private Vorsorge sei.
Das Schmidt-Ministerium reagierte verschnupft. Eine breite öffentliche Debatte über die Notwendigkeit der privateen Vorsorge sei in den Jahren 2000 und 2001 bis zur Einführung der Riester-Rente geführt worden, so Staatssekretär Franz Thönnes. Anschließend sei die Öffentlichkeit informiert worden. Was Rürups imposanter Gesamtrechnung natürlich keinen Abbruch tut.
Der Bremer Ökonom Winfried Schmähl legte im Spiegel noch eins drauf. Wenn die Regierung die Reform der Rentenbesteuerung und die Vorschläge der Rürup-Kommission umsetze, werde die gesetzliche Altersvorsorge „zu einer Grundrente demontiert“, sagte Schmähl. Würden die Vorschläge der Rürup-Kommission umgesetzt, die eine weitere Kürzung der Renten vorsehen, dann werde das Niveau auf 54 Prozent der Nettolöhne gedrückt – durch die Reform der Besteuerung für einen Neurentner sogar auf weniger als 50 Prozent. Die Renten sollen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Zukunft wie Pensionen voll besteuert werden.
Familienministerin Renate Schmidt (SPD) hat gerade einen „Generationen-Check“ für Gesetze gefordert. Die gesetzliche Rente dürfte ihn nicht bestehen.