: Atomkraft macht einen auf lau
aus Hannover JÜRGEN VOGES
Wo ein AKW-Betreiber zum Stromsparen aufruft, muss die Not groß sein. Die EnBW Energie Baden-Württemberg AG, die sonst über die Tochter Yellowstrom bundesweit nicht genug gelben Saft aus Steckdosen anbieten kann, hat am Freitagnachmittag an die Baden-Württemberger appelliert, „sorgsam und sparsam mit Strom umzugehen“. Es sei „zum Beispiel der Dauerbetrieb von Klimaanlagen und Ventilatoren meist nicht nötig“, erklärte das Unternehmen, als wäre es eine Filiale des Ökoinstituts. Klimageräte könne man auch einige Grad höher schalten, und Computer und Fernseher sollten ganz ausgeschaltet werden, anstatt sie in der Stand-by-Funktion zu belassen.
Dem ungewöhnlichen Aufruf schloss sich das Umweltministerium in Stuttgart umgehend an und erteilte zugleich den EnBW-Kraftwerken eine Sondergenehmigung zum Aufheizen der Flüsse. Hintergrund der ungewohnten Töne des Atomstromers aus dem Südwesten sind nach dessen eigenen Angaben „der niedrige Wasserstand in zahlreichen Flüssen“ und die „witterungsbedingt deutlich höheren Gewässertemperaturen“, die zu Einschränkungen bei der Stromproduktion geführt hätten. Zugleich sei der Stromverbrauch ebenfalls witterungsbedingt „überdurchschnittlich hoch“.
Allerdings wies eine Sprecherin der E.ON Kernkraft in Hannover darauf hin, dass in Deutschland anders als in südeuropäischen Ländern die Verbrauchsspitzen im Winter lägen. Gerade im Südwesten importiert man jedoch sonst gern Strom aus Frankreich, das mittlerweile aber wegen eigener Einschränkungen der Atomstromproduktion selbst Elektrizität einführen muss.
Die Probleme französischer wie deutscher Betreiber hängen mit den hohen Temperaturen der Flüsse zusammen, aus denen die Kraftwerke sich mit Kühlwasser versorgen. Zum einen erlauben die wasserrechtlichen Genehmigungen der Atom- oder auch anderer Wärmekraftwerke nur ein eingeschränktes Aufheizen der Flüsse; das Gewässer darf nur eine bestimmte Maximaltemperatur erreichen, wenn das Kühlwasser wieder zurückgeleitet wird. Zum anderen darf bei einigen Atomkraftwerken das Kühlwasser, das aus dem Fluss entnommen wird, aus Sicherheitsgründen nicht wärmer als 25 Grad sein. Szenarien für schwere Störfälle, bei denen zur Notkühlung Wasser direkt aus dem Fluss in den Reaktor gepumpt werden muss, gehen bei diesen Atomkraftwerken nur von einer maximalen Gewässertemperatur von 25 Grad aus. Für höhere Temperaturen sind diese Kraftwerke damit nach ihren Genehmigungen sicherheitstechnisch nicht ausgelegt.
Nach Angaben des niedersächsischen Umweltministeriums hat der Bundesumweltminister bereits am vergangenen Dienstag einen entsprechenden Hinweis der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) weitergeleitet und die Länder um einen Bericht darüber gebeten, bei welchen Atomkraftwerken Störfallszenarien nur eine maximale Temperatur des angrenzenden Flusses von 25 Grad vorsehen.
Nach Auffassung der Länder Niedersachsen und Baden-Württemberg trifft dies zumindest für das AKW in Stade und die jeweils zwei Reaktorblöcke in Philippsburg und Neckarwestheim zu. An allen drei Orten ordneten die Behörden an, die Kraftwerksleistungen zu reduzieren. Die Aussage des Bundesumweltministeriums, dass die Hitze keine Auswirkungen auf die Sicherheit deutscher Reaktoren habe, entspricht somit nicht mehr den Tatsachen.
Das niedersächsische Umweltministerium ordnete für das AKW Stade, das im November parallel zum nächsten Castor-Transport nach Gorleben endgültig vom Netz gehen soll, bereits am Donnerstagabend eine Reduzierung der zulässigen Leistung um 15 Prozent von 670 auf 570 Megawatt an. Nach Angaben von Ministeriumssprecher Volkert Wiesner wurde dem Betreiber gleichzeitig erlaubt, bis maximal 28 Grad warmes Kühlwasser der Elbe zu entnehmen. Mit Volllast dürfe das Kraftwerk erst wieder gefahren werden, „wenn die Temperatur der Unterelbe sicher und dauerhaft unter 25 Grad liegt“, sagte der Ministeriumssprecher. Gegenwärtig werde je nach Tageszeit und Gezeitenwechsel auf der Unterelbe das 25-Grad-Maximum immer wieder überschritten. Durch die Leistungsreduzierung seien die schweren Störfälle, bei denen die Szenarien mit maximal 25 Grad rechnen würden, auch noch mit einer Temperatur des Notkühlwassers bis 28 Grad beherrschbar. Die Sprecherin des Stade-Betreibers E.ON Kernkraft, Petra Uhlmann, schlägt noch zehn Grad drauf und meint, sogar bis 38 Grad sei „ein sicherer Betrieb gewährleistet“.
Das Landesumweltministerium in Stuttgart hat für die jeweils zwei AKW-Blöcke in Neckarwestheim und Philippsburg in den vergangenen Tagen sogar Leistungsreduzierungen um jeweils 20 Prozent angeordnet. Wie das Ministerium mitteilte, gehen „Sicherheitsnachweise für die Wärmeabfuhr im Normalbetrieb als auch bei Störfällen“ für die beiden Blöcke in Philippsburg von einer maximalen Rheintemperatur von 25 Grad aus, für die beiden AKWs am Neckar von 26 Grad. Die Leistungsreduzierung gewährleiste die Sicherheit auch bei den gegenwärtigen höheren Temperaturen der Flüsse, behauptet das Ministerium. EnBW habe für Philippsburg Unterlagen vorgelegt, nach denen auch bei den gegenwärtigen höheren Temperaturen ein sicherer Betrieb gewährleistet werden soll. Diese Unterlagen will man nun zunächst prüfen. Auch für Neckarwestheim sind solche Unterlagen angekündigt.
Bei der Planung der Revisionszeiten der eigenen Kraftwerke hat EnBW augenscheinlich nicht damit gerechnet, dass der Stromverbrauch im Sommer so hoch sein würde und andererseits die Nachbarn in Frankreich Probleme bekommen. Gegenwärtig stehe bei mehreren der fünf EnBW-Kraftwerke die alljährliche Generalüberholung an, sagt Unternehmenssprecherin Petra Wöllmer. Und die dauert in der Regel sechs Wochen. Das AKW Obrigheim, das auch Probleme mit zu warmem Kühlwasser hatte, wurde am Dienstag um zwölf Tage vorzeitig in die Revision geschickt und damit als erstes deutsches AKW wegen der Hitze zumindest etwas früher als geplant vorübergehend abgeschaltet. Ein Block in Philippsburg befand sich vergangene Woche nach Abschluss der Revision in Anfahrbetrieb. Ein Block in Neckarwestheim sei zudem im „Streckbetrieb“, sagte Wöllmer. Dort wurde die eigentlich fällige Revision hinausgeschoben. Wegen des eigentlich fälligen Brennelementwechsels kann das Kraftwerk ohnehin nicht mehr die volle Leistung bringen. Der Stoßseufzer der Unternehmssprecherin: „Es gibt ja jetzt auch keinen Strom auf dem Markt zu kaufen.“ Der Aufruf der Schwaben zum Stromsparen scheint da verständlich.
Allerdings wird Strom mittlerweile an einer Börse gehandelt, an der bekanntlich alles eine Preisfrage ist. An der Leipziger Strombörse stiegen in den vergangenen Tagen kräftig die Preise für Strom, der in den Spitzenzeiten zugeschaltet wird, wegen der Leistungskürzung der Atomkraftwerke. Und nach Angaben etwa der Stadtwerke München hat der Verbrauch trotz der Hitze gar nicht zugenommen.
Der erste echte Kandidat für eine AKW-Abschaltung der Hitze wegen liegt allerdings nicht in Baden-Württemberg, sondern nahe der Nordseeküste an der Unterweser südlich der niedersächsischen Stadt Nordenham. Das gleichnamige AKW Unterweser und das ebenfalls E.ON gehörende AKW Isar I in Bayern haben nach Angaben von E.ON-Sprecherin Petra Uhlmann keine Kühltürme, werden also direkt mit Flusswasser gekühlt. Weil sie dadurch die Flüsse stark aufheizen, können die beiden Kraftwerke bereits seit einer guten Woche nur noch mit etwa halber Leistung gefahren werden. Volkert Wiesner aus dem Umweltministerium in Hannover ging am Freitag schon für das Wochenende von einer weiteren Leistungsreduzierung des AKW Unterweser auf 33 Prozent aus. Die wird nach der wasserrechtlichen Genehmigung des Kraftwerks notwendig, wenn die Temperatur der Unterweser nach Durchmischung mit dem aufgeheizten Kühlwasser auf 25,5 Grad steigt. Bei einer Temperatur des Flusses von 26 Grad muss Unterweser ganz vom Netz gehen und darf nur „Strom für den Eigenbedarf produzieren“. Auch damit sei bald zu rechnen, meint der Ministeriumssprecher.
Zusätzliche Einschränkungen der Stromproduktion aufgrund wasserrechtlicher Genehmigungen drohten auch den Kraftwerken der „Energie AG“ EnBW. Doch angesichts der Probleme des Unternehmens – Ende Juli wurde der Chef von Yellowstrom wegen eines bei der Tochter nach und nach aufgehäuften Defizits von 500 Millionen Euro mit sofortiger Wirkung beurlaubt – hat das Umweltministerium in Stuttgart ein Herz gezeigt. Auch das Ministerium veröffentlichte am Freitag einen Appell zum Stromsparen, der sich bis aufs Wort mit dem EnBW-Aufruf deckte. Und es setzte zunächst für eine Woche die Grenzwerte der wasserrechtlichen Genehmigungen der EnBW-Kraftwerke nach oben. Demnach darf der Kraftwerksbetreiber „die zulässige rechnerische Mischtemperatur des Gewässers nach Kühlwassereinleitung von 28 Grad geringfügig überschreiten“ und auch die im Kraftwerk verdunstete Wassermenge über die Genehmigung hinaus erhöhen.
Wegen der Hitze hat es in Deutschland bereits mehrere Fischsterben, darunter auch im Rhein, gegeben. Und zudem hat ausgerechnet das Land Baden-Württemberg am Tag der Ausnahmegenehmigung für EnBW auf seiner Internet-Seite als erste und wichtigste Meldung eine Warnung mit dem Titel veröffentlicht: „Nach dem Aalsterben geht nun auch Forellen und Lachsen die Luft aus.“ Der Stuttgarter Verband für Fischerei und Gewässerschutz beklagte grenzwertige Bedingungen in den Gewässern und Verluste bei der Fischfauna durch die Hitze. Noch dazu forderte das Umweltministerium von Rheinland-Pfalz am selben Tag alle Firmen auf, Wärmeeinleitungen in die Gewässer Rhein, Mosel, Saar und Nahe so niedrig wie möglich zu halten. „Nach der Süßwasserqualitätsverordnung“ dürfe in diesen fischreichen Flüssen eine Temperatur von 28 Grad „aufgrund von Abwärmeeinleitungen grundsätzlich nicht überschritten werden“. Liegt nicht das AKW Philippsburg auch am Rhein?