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Archiv-Artikel

Herausgekotzte Sätze, die nicht lächerlich klingen

Heute im Knaack: Die Blood Brothers definieren den Punk neu, und auch bei Pretty Girls Make Graves stellt sich das Gefühl dringender Notwendigkeit ein

Blood Brothers / Pretty Girls Make Graves, Knaack, Greifswalder Straße 224, heute, 12. August, 21 Uhr

Es ist eine Weile her, dass die Revolte ein relevantes musikalisches Thema war. Und noch länger, dass jemand Musik gespielt hätte, über der ein herausgebelltes „Revolution!“ nicht peinlich berührend geklungen hätte. Den Blood Brothers gelingt diese Renaissance, weil sie sich nicht darauf beschränken, die Wut des Punk in ermüdendes Geschrammel zu kleiden, sondern dem Hardcore mit einem selten komplexen Entwurf aus Hochgeschwindigkeitsgitarren und Elektronik-Attacken einen Ausweg aus der Krise weisen. So ist es mitunter nicht ganz einfach, dem Quintett aus Seattle zuzuhören – und das nicht nur wegen der Texte, die zwischen Politanspruch und Drogenpoesie wanken, zum Maschinensturm aufrufen und von gleich zwei Sängern herausgekotzt werden. Diese Musik stellt Ansprüche, diese Musik tut weh: Rhythmen irrlichtern verwegen, auf Eingängigkeit wird so konsequent verzichtet, dass die seltenen Momente reiner Schönheit weniger für Erholung sorgen als für Verwirrung. Vergleichsweise konventionell erscheinen da Pretty Girls Make Graves. Mit den Blood Brothers verbinden sie die gemeinsame Heimatstadt und ein Gefühl von dringender Notwendigkeit, das ihrer Musik innewohnt. „This is our emergency“ singt Andrea Zollo, und nicht nur da hört es sich so an, als müsste da was raus: Geschichten über Neurosen, über Verzweiflung, Liebe, Verlangen, das Leben halt. Dazu baut die Band auf ihrem zweiten Album „The New Romance“ ganz altmodisch Wände aus Gitarrenriffs, aus Gitarrengeplinker und Gitarrengedrömmel, das ganze Programm und so solide, dass die Samples und Keyboards Sperenzchen bleiben. Man merkt, hier geht es auch und vielleicht sogar vor allem darum, eine aussterbende Kunst zu bewahren: die feine Gitarrenarbeit. Ja, man traut es sich kaum zu sagen: Es geht hier durchaus auch um Handwerk. Das mag keinen goldenen Boden haben, das mag keine Revolutionen auslösen. Aber es hört sich prima an.

THOMAS WINKLER