: Weltmacht wider Willen
Der Publizist Peter Bender beschreibt detailgetreu, wie Amerika durch ein bisweilen hysterisches Streben nach Sicherheit zum „neuen Rom“ aufstieg. Die Gegenwart verliert er dabei aus dem Blick
von RALPH BOLLMANN
Schon die amerikanischen Gründerväter bezogen sich oft und gerne auf das antike Vorbild. In den Debatten über ihre eigene Verfassung zitierten sie am liebsten Beispiele aus der römischen Republik. Sie gaben einer Parlamentskammer den Namen „Senat“ und errichteten für die Abgeordneten ein Gebäude auf dem „Kapitol“. Ihre Häuser verzierten sie mit Säulen und Kuppeln, deren Formen sie sich am Tiber abschauten.
Seit die USA nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 zur weltweit einzigen Supermacht aufgestiegen sind, hat die Frage nach den historischen Parallelen zwischen amerikanischem und römischem Imperium neue Aktualität gewonnen. Vor allem nach den Anschlägen vom 11. September und dem Krieg im Irak stellen sich viele Beobachter die bange Frage: Stehen die Amerikaner erst am Beginn einer jahrhundertelangen Vorherrschaft nach römischen Vorbild? Oder mehren sich schon die Zeichen eines nahen Untergangs, der am Ende selbst das starke Römerreich ereilte?
Nach zahlreichen Essays ist das Thema endlich auch Gegenstand eines ganzen Buchs. Akribisch beschreibt der Publizist Peter Bender, wie sich zwei unbedeutende Kleinstaaten zu den dominierenden Mächten ihrer Zeit entwickelten. Beide sahen sich in der komfortablen Lage, von ihren ärgsten Feinden durch das Meer getrennt zu sein. So konnten sie sich zunächst ungestört der Eroberung ihrer eigenen „Insel“ widmen, so Bender, die bei den Römern eine Halbinsel und bei den Amerikanern ein ganzer Kontinent war. Am Beginn des Aufstiegs stand die bewusste Entscheidung, keinen fremden Einfluss in der eigenen Hemisphäre zu dulden.
Damit hätten sich Römer wie Amerikaner gerne begnügt. Aber sie ruhten nicht – teils, weil ihr Bedürfnis nach Sicherheit beinahe hysterische Züge trug, teils aber auch, weil sie objektiv nicht anders konnten. Wie die Amerikaner im Ersten Weltkrieg, so hatten auch die Römer im Ersten Punischen Krieg den Schritt übers Meer nur wider Willen getan. Anschließend waren beide auf einen möglichst raschen Rückzug aus der Weltpolitik bedacht. Die Römer kamen spanischen Bundesgenossen nicht mehr gegen Karthago zu Hilfe, und auch die Amerikaner halfen den Tschechen 1938 nicht gegen Deutschland.
Beide Mächte mussten lernen, dass sich die weltpolitische Abstinenz nicht durchhalten ließ. Die Zurückhaltung ermutigte nur die Gegner von einst. Römer und Amerikaner mussten erneut in den Krieg ziehen. Diesmal blieben sie – so lange, bis sie auch den letzten Gegner im Osten besiegt hatten. Im Jahr 190 vor Christus waren die hellenistischen Reiche endgültig niedergerungen, und im Jahr 1991 nach Christus löste sich die Sowjetunion auf.
Nur mit Mühe kann man Bender bis zu diesem Punkt folgen, denn die Verschränkung von römischer und amerikanischer Geschichte gelingt dem Autor nicht durchgängig. Über weite Strecken referiert er jeweils isoliert die antike oder moderne Ereignisgeschichte. Für den kundigen Leser bieten die Passagen kaum Neues, der Laie wird mit Namen und Details verwirrt.
Vor allem aber bleibt nach diesen 200 Seiten Nacherzählung kaum noch Platz für jene Fragen, die einen Vergleich der beiden Imperien erst spannend machen: Was haben Römer und Amerikaner, neben zufälligen Parallelen in der Chronologie des Aufstiegs, im Kern eigentlich gemein? Und was können wir für die Zukunft der „neuen Weltordnung“ daraus lernen?
Keine der beiden Fragen wird in dem Buch beantwortet, und hinter dem Versäumnis steht volle Absicht. Seit 1954 ist Bender als Journalist tätig, wie der Klappentext stolz vermerkt – doch als 80-Jähriger kehrt der studierte Althistoriker zu wissenschaftlicher Methodenstrenge zurück. „Prophezeiungen sind nicht Sache des Historikers“, erklärt er dazu kurz und knapp.
Das mag noch angehen, aber bei der Frage nach den strukturellen Parallelen stößt Bender seine Leser wahrlich vor den Kopf. Gerade dieses „Wesentliche“ – also Traditionen und Mentalitäten, Gesellschaft und Kultur – müsse „als unvergleichbar in Erinnerung bleiben“. Wenn es so wäre, dann bräuchte niemand dieses Buch. Aber zum Glück ist es nicht so, wie Bender selbst in einer abschließenden Gesamtschau der beiden „neurotischen Riesen“ eindrucksvoll beweist. Es ist das beste Kapitel des Bandes, denn hier reißt Bender die großen Fragen wenigstens noch an.
Hier erwähnt er den Segen der „Pax Augusta“ und die Gefahr imperialer Überdehnung. Hier lässt er das große Thema unserer Zeit anklingen, die weltweiten Migrationsströme: „Das Reich ging nicht zuletzt daran zugrunde, dass alle in ihm leben wollten.“ Hier spricht er schließlich vom „Roman Way of Life“ als antiker Parallele zum amerikanischen Lebensstil, der von McDonald’s bis Harvard die unterschiedlichsten Bereiche der Weltgesellschaft dominiert.
Die „eigenartigste Ähnlichkeit“ sieht Bender in der Parallele zwischen dem römischen Verhältnis zu den Griechen und der amerikanischen Beziehung zu den Europäern. Während sich die beiden Weltmächte damals wie heute über die Machtvergessenheit ihrer traditionsreichen Anhängsel echauffieren, mokieren sich alte Griechen und moderne Europäer über die vermeintliche Kulturlosigkeit des überlegenen Imperiums.
Nicht der Erwähnung wert findet Bender offenbar die vielen Gemeinsamkeiten jenseits des politischen Raums – von der Umweltbelastung bis zur Todesstrafe, von den Methoden der liberalen Wirtschaftssteuerung bis zum privatisierten Bildungssystem, vom überlegenen Selbstverständnis bis zur hoch entwickelten Unterhaltungsindustrie. Erscheinen ihm all diese Berührungspunkte als zu oberflächlich? Der Leser erfährt es nicht. Bender hat lediglich den geopolitischen Aufstieg der beiden Weltmächte akribisch dargestellt – und damit ein großes Thema allzu sehr verkleinert.
Peter Bender: „Weltmacht Amerika. Das neue Rom“, 296 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2003, 19,50 €