: Die Macht der Mehrheit
Die Republikaner in den USA finden die Opposition eigentlich überflüssig: In Texas lassen sie die Demokraten von der Polizei jagen. Grüße von der Heimatfront (7)
Wahlkampf und absurdes Theater müssen sich nicht ausschließen. Das wissen wir spätestens seit Florida. Nun ist in Kalifornien die Reality-Komödie „Conan, der Gouverneur“ angelaufen mit täglichen Fortsetzungen bis 7. Oktober – Verlängerung nicht ausgeschlossen. CNN, FOX und ihre Talkshow-Herren haben für die nächsten Wochen ausgesorgt. Nur ein paar Spielverderber unter den Rezensenten wittern collateral damage – soll heißen: Schaden für die Demokratie.
Die Aufmerksamkeit ist ungerecht verteilt, denn die kernigste Reality-Show kommt derzeit aus Texas: „Elf Freunde auf der Flucht“ könnte der Titel lauten. Oder: Der Tag, an dem die Opposition ins Exil ging.
Hier eine kurze Zusammenfassung: In Texas regiert derzeit ein republikanischer Gouverneur mit einer republikanischen Mehrheit im Parlament. Damit in Zukunft auch die texanische Delegation im US- Repräsentantenhaus mehrheitlich aus Republikanern besteht, will der Gouverneur die Grenzen der Wahlbezirke neu ziehen lassen. Das suchen die Demokraten zu verhindern, indem sie die entsprechende Abstimmung schwänzen und so das nötige Quorum nicht zustande kommt. Worauf wiederum die Republikaner die texanische Polizei beauftragen, ihre widerspenstigen Kollegen einzusammeln und im Kapitol zu Austin abzuliefern. Worauf diese dann in die benachbarten Bundesstaaten flüchten. Derzeit haben sich elf texanische Demokraten in einem Motel in Albuquerque, New Mexico, verkrochen. Der Gouverneur von Texas hat beim Obersten Gerichtshof in Texas beantragt, dass die Judikative die Opposition an ihren Platz zurückbeordert, wo sie dann endlich niedergestimmt werden kann. Demokratie ist nun mal die Macht der Mehrheit.
Da auch die Mitglieder des texanischen Obersten Gerichtshofs mehrheitlich Republikaner von der texanischen Sorte sind, ist der Ausgang des Verfahrens abzusehen. Das denkbare Finale: Die Demokraten bitten um politisches Asyl – nicht in New Mexico, sondern in Mexiko.
Warum ich das so ausführlich erzähle?
Erstens ist das Spektakel in Texas ein Lehrstück in der Kunst, Macht zu zementieren, ohne die Mehrheit des Wahlvolks hinter sich zu haben. Mit dieser Option muss sich auch George W. Bush seit letzter Woche wieder intensiv befassen.
Zum ersten Mal seit Beginn des „Krieges gegen das Böse“ sind seine Zustimmungsraten auf das Niveau des 10. September 2001 abgesackt. Schlechte Arbeitsmarktzahlen und täglich ein oder zwei tote US-Soldaten im Irak schaffen Imageprobleme. Da verblassen auch die Bilder von der schneidigen Landung auf einem Flugzeugträger.
Zweitens sind demnächst einige Sitze im Obersten Gerichtshof der USA neu zu vergeben. Das ist jenes Gremium, das Bush im Dezember 2000 mit fünf zu vier Stimmen die Präsidentschaft zugeschoben hatte. Diese konservative Mehrheit auszuweiten, ist das zweifellos legitime Ziel der Republikaner. Wer die Macht hat, hat das Sagen. Der Präsident schlägt die Kandidaten vor, der Senat muss sie bestätigen. Der Präsident ist ein Republikaner, die Mehrheit des Senats ist republikanisch. Na ja, Sie ahnen schon, worauf ich hinauswill.
Nun ist das Leben für die Republikaner in Washington nicht ganz so leicht wie in Texas. Die Opposition flieht nicht aus dem Kapitol, und George W. Bushs angekratzte Popularität dürfte den Parlamentariern helfen, aus der patriotischen Einheitfront auszuscheren.
Aber man bekommt einen Vorgeschmack auf das, was den Strategen im Weißen Haus vorschwebt: das Modell T, das Modell Texas, die neue „Ein-Parteien-Demokratie“. Legislative (mit symbolischer Opposition), Judikative und Exekutive marschieren im ideologischen Gleichschritt: Deregulierung der Industrie und ansonsten einen (Bundes-) Staat, der im sozialen Bereich auf Zwergengröße schrumpft und im Bereich innere Sicherheit zum Koloss wächst.
Die Medien, informell vierte Gewalt, genügen sich (mit Ausnahmen) in der Rolle der Theater-Rezensenten und dürfen sich im Kriegsfall bei den Marines einbetten lassen; die fünfte Gewalt, die Lobbygruppen in Washington, bislang aus reinem Pragmatismus zum Ölen beider Parteien verpflichtet, sind inzwischen ebenfalls in der Hand der Republikaner. Vor zehn Jahren waren die Geldspenden der 19 größten Industrielobbys gleichmäßig auf beide Parteien verteilt. Heute kassieren die Republikaner doppelt so viel wie die Demokraten.
Solche Details findet man in kleinen, aber feinen Publikationen mit beschränkter Verbreitung: „Welcome To The Machine“ heißt der jüngste Aufmacher im Magazin Washington Monthly (www.washingtonmonthly.com). Beschrieben wird darin die Kunst des George W. Bush, bislang „ohne eine breite Mehrheit im Parlament und ohne ein deutliches Mandat der Wählerschaft eine verblüffend kühne Innenpolitik anzuschieben – angefangen bei zwei Steuersenkungen für die Reichen, einem Roll-back im Umwelt- und Arbeitsschutz bis zur Neuregelung der Medienlandschaft zugunsten der Großkonzerne“.
Ein-Parteien-Maschinen sind in der US-Geschichte nichts Neues. Auch Franklin D. Roosevelt setzte in den 30er-Jahren darauf. Allerdings mussten und wollten Roosevelts „New Deal-Democrats“ einen Interessensausgleich zwischen Arbeitern, Alten und Armen auf der einen und der Privatwirtschaft auf der anderen Seite schaffen. In sehr eingeschränktem Maße gilt das für die Demokraten auch heute noch. Die Republikaner sind von solchen inneren Spannungen ganz und gar frei. Ihre Vordenker wollen Staatsabbau, „bis man“, so ein Washingtoner Parteistratege, „den Rest in der Badewanne ertränken kann“. Das klingt nicht sehr nett. Aber man würde solche Leute unterschätzen, unterstellte man ihnen pure Böswilligkeit. Sie sehen sich als Befreier, die alte Tugenden wie individuelle Selbstständigkeit wiederherstellen.
Genug davon. Kaliforniens Wahlkampf-Raritäten-Kabinett ist halt doch unterhaltsamer als die fröhliche Demokraten-Jagd in Texas und die nicht so stille Revolution in Washington: Der „Terminator“ im Kampf gegen 200 Konkurrenten – und das ohne Pumpgun.
Die originellste Parole stammt vorerst von Schwarzeneggers Gegenkandidaten Larry Flynt, bekannt als Herausgeber des Porno-Magazins Hustler: „The smut peddler who cares“ lautet sein Slogan. Frei übersetzt: „Der Schweinkram-Dealer mit Herz“.
Der originellste Vorschlag zur Linderung des kalifornischen Haushaltsdefizits kam bislang über die wohl geformten Lippen einer Kandidatin: Mary Carey, Pornofilm-Sternchen mit einer Oberweite jenseits der regulären Körbchengrößen, will Schönheitsoperationen besteuern lassen. Vor allem Brustimplantate.
Irakkrieg hin oder her – man muss dieses Land einfach lieben.
ANDREA BÖHM