: Bratensaft-Versuchung
Westschokolade gibt es jetzt sogar mit echtem Bohnenkaffee. Doch die Dekadenz geht noch weiter
Neu! Nur für kurze Zeit! „Kauf mich, bevor es zu spät ist“, brüllt die Milka-Schokolade aus dem Regal des Supermarktes und verheißt klassische Gaumenfreuden: Kaffee und Schokolade. Das Schoko-Sommerloch wird dieses Jahr nicht mit „Erdbeerjoghurt“ oder sonstigem Wellness-Kram gestopft, sondern mit den Klassikern europäischer Kaffeehauskultur, die uns von Starbucks als kulturimperialistischer Re-Import ohnehin bereits trendmäßig um die Ohren gehauen werden.
Die Milka-Limited-Edition mit den Geschmacksrichtungen Cappuccino, Espresso und Latte Macchiato ist das Ergebnis eines konzerninternen Cross-Marketings, denn die injizierte Schmiere aus „echtem Röstkaffee“ besteht aus Jacobs „Caffè Crema“, beide Marken gehören zum Kraft-Konzern. Theoretisch ein hübscher Synergieeffekt, in der Praxis liefert Milka gewohnt übersüßte Schokoladenmasse und Jacobs einen Sud, der leicht nach Bratensaft schmeckt.
Gut, dass wir verglichen haben, denn auch andere Firmen bedienen den Trend: Der Süßwarenhersteller Hussel überzieht deutsche Büros schon seit längerem mit einem Rausch aus Kaffee und Schokolade, der von mit Schokolade überzogenen Kaffeebohnen induziert wird. „Quick Kick“ lautet der etwas dämliche Produktname für die bekannte italienische Leckerei. Der weniger prätentiöse Ostler greift da lieber zu „Mokkabohnen Zartbitter“, einem VEB-Klassiker, der mit 3,4 Prozent Kaffeepulver unbestimmter Herkunft zubereitet wird. Die Cappucino-Schokolade von Vivani Bio-Genuss verwendet hingegen garantiert Kaffee aus kontrolliert biologischem Anbau, was auch für die restlichen Zutaten gilt, die in dem kleinen Familienunternehmen Ludwig Weinrich zu Naschwerk verarbeitet werden.
Richtigen Hipstern sei jedoch empfohlen, die eigentlich von „Merci“, „Wertsiegel“ und anderen Großmutter-Herstellern ausgelatschten Pfade der Schoko-Kaffee-Kombi zu verlassen. In den Mae-B.-Frauensexshops von Beate Uhse wird jetzt Zartbitterschokolade mit rosa Pfefferkörnern angeboten: „Verführerisch. Knisternd. Feurig“. Noch schärfer trieben es nur die alten Azteken, sie bevorzugten Schokolade mit Chili. Demnächst bei Milka?
MARTIN REICHERT