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Archiv-Artikel

Auf der Suche nach dem Grotesken

Das Fantasy Filmfest 2003 startet heute mit James Mangolds „Identity“: Zwischen diesem mittelmäßigen Psychothriller mit mehreren doppelten Böden und allerlei Seichtem aus aller Welt lassen sich auch diesmal einige Entdeckungen machen

Ein Elvis-Imitator, der sich für das Original hält, trifft auf einen alten Schwarzen, der glaubt, JFK zu sein

von HOLGER RÖMERS

Es scheint, als wollte Identity, der Eröffnungsfilm des diesjährigen Fantasy Filmfests, kein Klischee des Neo-Noir auslassen. Unter einem Nachthimmel, aus dem es in Strömen gießt, flackert die Neonreklame eines alten Motels, und dessen Rezeption ist selbstredend mit einem sinistren Typen besetzt. Zu den zahlenden Gästen des Etablissements zählen, weil wegen des sintflutartigen Regens die Straßen unpassierbar geworden sind, neben einer gerissenen Hure bald noch ein Serienkiller und der Cop (Ray Liotta), der ihn während eines Häftlingstransports bewachen soll. Zudem liegt auf einem der Zimmer eine schwer verletzte Frau, die von dem Chauffeur (John Cusack) einer blasierten Countrysängerin angefahren worden ist.

Hat die absehbare Dezimierung dieses Personals begonnen, entpuppt sich James Mangolds Film leider als mittelmäßiger Psychothriller mit mehr als einem doppeltem Boden. Das „Internationale Festival für Science Fiction, Horror und Thriller“ verdankt allerdings seinen Reiz nicht solchen Vorprämieren bald startender Hollywoodfilme; vielmehr bietet sich hier die oft einmalige Chance, internationales Genrekino abseits der Pfade Hollywoods zu entdecken.

Aus Spanien kommt etwa das kühle Psycho-Kammerspiel Killing Words, in dem ein Polizeiverhör mit einem parallelen Handlungsstrang verschränkt ist. Darin gibt sich ein Professor in einem Keller, der mit Metallmobiliar auf blutrotem Linoleum eingerichtet ist, gegenüber einer gefesselten Frau als Serienmörder zu erkennen. Während Regisseurin Laura Mana konsequent den letzten Plot Twist ansteuert, irritiert The Pharmacist die hiesigen Vorstellungen vom französischen Kino: Jean Veber lässt einen Kommissar mit Liebeskummer Freundschaft mit einem Apotheker schließen, den Umweltschutz und bretonische Mystik zum Morden antreiben. Nachdem aus dem Nichts eine konventionelle Horrorszene eingestreut worden ist und ein Transvestit vorübergehend ironische Pointen gesetzt hat, markiert der melodramatische Schluss den letzten der vielen abrupten Tonwechsel.

Im Zentrum des „Focus Asia“ steht in diesem Jahr das boomende Kino Südkoreas. So ist mit Kim Sung-sus Musa ein im 14. Jahrhundert angesiedeltes furioses Historienepos zu sehen, dessen Handlung gegenüber dem Breitwand-Bombast zurücksteht. In Resurrection of the Little Match Girl ist dagegen Hans Christian Andersens „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ zur traumwandlerischen Videospielfigur mutiert. Bei der teuersten koreanischen Produktion aller Zeiten hat Jang Sun-woo viel Geld erstaunlich dezent eingesetzt, so dass sein leichthändig verspielter Actionfilm formal noch am ehesten durch nuancierte Farben auffällt. Jeong Yun-sus exquisit fotografiertes, aber blutleeres Zukunftsthriller-Pastiche Yesterday entwirft indes die Vision eines wiedervereinten Korea, das auffallend ans L. A. von Blade Runner erinnert, während aus einer Musicbox mehrfach „As Time Goes By“ erklingt.

Eindeutiger Höhepunkt nicht nur dieser Festivalsektion ist allerdings der neue Film des Regisseurs von Joint Security Area, Park Chan-wook. Sympathy for Mr. Vengeance ist eine meisterliche existenzialistische Groteske, die ein ebenso lakonisches wie grelles Bild einer Gesellschaft im Würgegriff einer Wirtschaftskrise zeichnet: Als ein taubstummer Arbeitsloser seiner kranken Schwester durch eine Entführung die benötigte Niere beschaffen will, nimmt eine spröde Tragödie mit äußerst brutalen, traurig anzusehenden Konsequenzen ihren Lauf.

Schließlich sind auch wieder kauzige Kuriosa aus den USA zu entdecken: Bubba Ho-Tep lässt in einem Altenheim einen Elvis-Imitator, der sich für das Original hält, auf einen alten Schwarzen treffen, der glaubt, JFK zu sein. Weil das allenfalls für einen Stand-up-Act genug Stoff abgäbe, wird zudem ein fadenscheiniger Erzählstrang um eine umherspukende ägyptische Mumie gesponnen. Das klingt wie Quatsch und ist ebensolcher – weshalb es freilich an Alchimie grenzt, dass Regisseur Don Coscarelli und Hauptdarsteller Bruce Campbell immer genau die richtige Note treffen, um diesen Film zu einem richtig hübschen Vergnügen werden zu lassen.

Unverkennbar in der Tradition solcher Copfilme wie Serpico und French Connection stehend, widmet Joe Carnahans Narc schließlich der Zeichnung zweier ungleicher Polizisten (Jason Patric, Ray Liotta) ebenso großen Raum wie der gelegentlichen Action. Und sein Kameramann Alex Nepomniaschy fand dabei eine zeitgemäße Entsprechung jener rauen urbanen Ästhetik, die die New Hollywood-Vorbilder prägte. Weil ein deutscher Kinostart aussteht, bietet das Fantasy Filmfest die vielleicht einzige Gelegenheit, diesen wohl sorgfältigsten Hollywood-Genrefilm der letzten Zeit auf einer Leinwand zu sehen.

Eröffnung mit Identity: heute, 19 Uhr; Yesterday: Do, 14.8., 16.45 Uhr; Narc: Sa, 16.8., 14.30 Uhr; Bubba Ho-Tep: Sa, 16.8., 16.45 Uhr; Musa: Sa, 16.8., 23.30 Uhr; Sympathy for Mr. Vengeance: So, 17.8., 16.45 Uhr; Resurrection of the Little Match Girl: Mo, 18.8., 19 Uhr; Killing Words: Mo, 18.8., 21.15 Uhr; The Pharmacist: Di, 19.9., 23.30 Uhr, alle Cinemaxx; weitere Filme siehe www.fantasyfilmfest.com