: „Ich hab’s gern, wenn es Tote gibt“
Das Märchen vom Blaubart und die wonnige Angst kleiner Mädchen: Die französische Regisseurin Catherine Breillat über den Egoismus der Frauen in der Sexualität, attraktive Männer, ihren neuen Film „Barbe Bleu“, den sie im Panorama vorstellt, und warum Feministinnen sich über sie aufregen
Catherine Breillat zählt zu den umstrittensten AutorenfilmerInnen Europas. Zahlreiche Filme wurden wegen vermeintlich pornografischer Inhalte zensiert. Tatsächlich thematisieren ihre Filme stets das Verhältnis von weiblicher Sexualität, Gewalt und Sadomasochismus. Breillat wurde 1948 in Bressuire geboren. Mit 17 Jahren kommt sie nach Paris und veröffentlicht ihren ersten Roman „L’Homme facile“ (1968). Er wird für Minderjährige verboten. Es folgen drei weitere Romane und ein Theaterstück. 1976 dreht sie ihren ersten Film „Une vraie jeune fille“, basierend auf ihrem Roman „Le Soupirail“. Wegen der expliziten sexuellen Darstellung wurde er zunächst verboten und kam erst 2000 in die Kinos. Zwei Jahre zuvor, 1998, hatte ihr wohl berühmtester Film, „Romance“, in Frankreich erneut eine heftige Debatte über Feminismus und Pornografie ausgelöst. Auf der Berlinale ist Breillat ein gern gesehener Gast. Dieses Jahr zeigte sie dort „Barbe Bleu“.
VON INES KAPPERT
taz: Frau Breillat, in Ihrem Film „Barbe Bleu“ (Blaubart) lesen sich zwei kleine Mädchen das Märchen von König Blaubart vor. Was fasziniert Sie an dieser Geschichte?
Catherine Breillat: Mich fasziniert dieses Märchen, weil im Mittelpunkt ein Mädchen steht, das sich in voller Kenntnis der Umstände dazu entschließt, einen Serienmörder zu heiraten. Als ich „König Blaubart“ zum ersten Mal las, war ich fünfeinhalb Jahre alt. Genauso alt also wie das kleine Mädchen, das im Film seiner älteren Schwester das Märchen vorliest. In diesem Alter macht einem eine solche Geschichte natürlich Angst. Aber Angst mit einem Hochgefühl, wonnige Angst. Ich habe mir diese erhängten Frauen unzählige Male vorgestellt, immer wieder. Abstrakter formuliert: Hier geht es um eine Repräsentation des Todes, bei der die Leiche stets anwesend bleibt. Man hat den kleinen Schlüssel zum Verlies in der Hand und kann sie besuchen gehen.
Trotz dieser blutigen Geschichte – Ihre Weise, sie zu erzählen, ist diesmal eher sanft ausgefallen.
Das macht die Perversität umso größer! (lacht) Außerdem: Mit 14 Jahren einen Serienmörder zu heiraten, das finde ich schon provokant. Aber natürlich ziehe ich kein 14-jähriges Mädchen aus, das ist doch klar.
Trotzdem dreht sich in „Barbe Bleu“ fast alles um Sexualität und Gewalt.
Natürlich. Mädchen haben anders als Jungen schon sehr früh ein Gespür dafür, dass es so etwas wie Sexualität gibt. Vor allem heutzutage. Ich habe mich totgelacht, als das fünfeinhalbjährige Mädchen, das die Kleine spielt, am Set anfing zu erklären, dass Liebe bedeutet, dass Frauen mit Frauen, und Männer mit Männern… Diese Szene ist übrigens die einzige im ganzen Film, die wir improvisiert haben. Ich fand das wirklich urkomisch.
Das Publikum auch.
Tatsächlich? Ich hatte ja Angst, dass das zu viel wird. Die Kleine hat noch mehr erzählt, vom Sperma und wie das alles so läuft. Aber das habe ich alles rausgenommen.
Die bösartigste Figur in Ihrem Film ist nicht etwa der Serienmörder, sondern die Mutter.
Nein, sie ist nicht bösartig, sie ist nur die Resignierteste. Sie ist ruiniert, das Elend hat sie gebrochen.
Warum muss die ältere Schwester aus der Jetztzeit sterben?
Damit die kleinere sie loswird. Damit sie die Große wird. Ich selbst war auch die Zweite – und es hat mich sehr amüsiert, endlich meine ältere Schwester zu töten. Die hat sich über den Film fürchterlich aufgeregt, und das hat mir noch mehr Spaß gemacht.
Aus feministischer Sicht ist es problematisch, dass in Filmen Frauen zumeist sterben müssen wie die Fliegen. Auch bei Ihnen stirbt am Ende nicht nur der mordende Patriarch, sondern eben auch die ältere Schwester.
Ich hab’s gern, wenn es Tote gibt. Ich mag das Blut und den Tod. Außerdem bin ich nicht in erster Linie eine Feministin. Im Alltag bin ich es natürlich schon, zumal es immer noch Frauen gibt, die sich über Feministinnen lustig machen. Das finde ich furchtbar, und da bin ich dann ganz auf der Seite der Feministinnen. Aber wenn ich Filme mache, dann bin ich vor allem Cineastin. Meine Filme sind nicht dazu da, um die Frauen zu verteidigen, sondern die Kunst. Daher mochten Feministinnen meine Filme auch nie. Vor allem meine frühen Filme haben sie gehasst.
Warum?
Weil ich mich für die masochistische Seite von Frauen interessiere. Außerdem habe ich die Frauen ausgezogen, auch das gefiel nicht. Heute ziehe ich nun vor allem Männer aus.
Man lehnte Ihre Filme ab, weil sie feministische Vorstellungen von weiblicher Repräsentation nicht bedient haben?
Ja, auch in „Barbe Bleu“ gibt es diese masochistische Seite. Als das Mädchen Blaubart den Hals hinhält, hat sie nicht nur Angst, sondern ist auch in Ekstase. Dieser Sadomasochismus, zumal der Masochismus der Frauen, die ihren Henker lieben, das ist für mich ein großes Thema. Und das ist nun mal überhaupt nicht feministisch.
Trotzdem behält das Mädchen in Ihrer Interpretation am Ende die Oberhand: Die letzte Einstellung zeigt sie mit dem abgeschlagenen Kopf des Blaubarts – sie ist ganz die Judith von Holofernes, die sich den Kopf von Johannes dem Täufer bringen lässt.
Ja, ich liebe dieses Bild und beziehe mich immer wieder darauf. Aber das Wichtigste der Szene ist: In ihr streichelt sie zum ersten Mal das Gesicht ihres Ehemannes. Während sie zärtlich ist, nimmt sie seine Position ein. Dieser Transfer zwischen dem absolut Schwachen und dem absolut Starkem – für mich ist das Liebe.
Warum lässt Sie dieses Thema nicht los?
Weil Frauen, die Männer lieben, zwangsläufig auf das masochistische Universum zurückgeworfen werden. Es geht gar nicht anders. Noch werden Männer und Jungen mehr geliebt als Mädchen und Frauen. Trotzdem sind sie letztlich nicht die Starken. Denn trotz ihrer ständigen Versuche, die Frau zu dominieren: Sobald sie in sie eingedrungen sind, werden sie schwach. Deswegen sprechen wir ja auch vom Orgasmus als „dem kleinen Tod“. Die Frauen aber erleben keinen Tod, sondern Ekstase, die sich nicht dem Mann widmet, sondern sich selbst. Anders als es in den meisten Filmen gezeigt wird: Beim Sex ist die Frau viel egoistischer als der Mann. Während sie in der Liebesbeziehung zumeist die Schwächere ist, am Ende dominiert sie. Das übrigens ist mein Lieblingsthema.
Und hier gibt es keine Gegenbeispiele?
Doch, wenn der Sadismus zu stark wird. Dann ist sie wieder Opfer. Und was mich außerdem wahnsinnig macht…
Na?
Alle sagen immer: Catherine Breillat, die mag keine Männer. Was für ein Unfug! Ich liebe sie! Okay, ich mag keine Bürokraten und ich mag es nicht, wenn sie mir beweisen wollen, dass sie intelligenter sind als ich. Weil das meistens nicht der Fall ist. Aber selbst wenn ich sie intellektuell nicht spannend finde, können sie sexuell sehr interessant sein. Und über welchen Mann, der lieber mit Frauen schläft als mit ihnen spricht, würde man sagen: Er hasst die Frauen? Ich mache es einfach nur genauso wie er.