: (Un)gewünschte Reform
betr.: „Buchkampf ums letzte Geld“ (Weltkongress Bibliothek und Information) „Da entsteht gerade ein komisches System“, Interview mit Claudia Lux, taz vom 8. 8. 03
Es ist nur gut, dass durch den Weltkongress Bibliothek und Information ein in Berlin seit geraumer Zeit schwelendes Thema öffentlich wurde: die (un)gewünschte Reform des Bibliothekswesens. Sie wurde allerdings bislang fast ausschließlich auf das Thema Zentralisierung fokussiert. Die Bezirke haben eher negative Erfahrungen mit Zentralisierung (Musterbeispiel: Landesschulamt), und es ist keineswegs gesagt, dass Zentralisierung billiger wäre als dezentrale Verantwortung.
Die Diskussion, die jetzt gerade erst in Berlin anfängt, hat eher die Polarisierung Bibliothek als schnellstens verfügbarer Informations- und Wissensspeicher oder Bibliothek als bürgernaher Ort der Bildungs- und Kulturarbeit zum Thema, und hierauf können sehr unterschiedliche Antworten gegeben werden (London z. B. setzt auf unabhängige Dezentralität). Eine große aktuelle Gefahr ist, dass – wie in Berlin üblich – zurzeit allein finanzielle Erwägungen den Ausschlag geben und weniger kultur- und bildungspolitische Entscheidungen. Aber auch nicht jede Schließung einer Zweigstelle ist eine Katastrophe, wenn 500 Meter weiter die nächste ist. Darüber allerdings wollen die Bezirke unter Berücksichtigung ihrer Bildungs- und Kulturlandschaft selbst entscheiden, im Rahmen eines für alle verbindlichen Mindeststandards.
Nicht die Verschiebung von Geld in den Sportstättenetat ist die aktuelle Katastrophe, sondern die Kosten der elektronischen Vernetzung der Bibliotheken – mit Verve von der ZLB und von der Senatsverwaltung vorangetrieben – und als „Vöbb“ mittlerweile jedem Leser vertraut. Die Bezirke haben zwar einst einer Kostenübernahme zugestimmt, dies jedoch war vor dem großen Finanzdebakel des schwarzen Milliardenloches. In fast keinem der finanziell strangulierten Bezirke konnten die Etats der Bibliotheken um die jeweils beträchtliche Summe für die „Vöbb“-Folgekosten aufgestockt werden; wenn es gut ging, konnte der Etat auf dem Iststand eingefroren werden. Und die nun zu zahlenden Kosten für das elektronische Informations- und Bestellsystem gehen zu Lasten des Medienetats, also zu Lasten von Neuanschaffungen. In absehbarer Zeit wird es in den Bibliotheken nur noch alte Schwarten geben, die sich in den teuren und hocheffizienten Suchmaschinen präsentieren.
Die kultur- und bildungspolitische Diskussion ist dringend erforderlich, nur sie darf zukunftsentscheidend sein, nicht die aktuellen Geldnöte. DOROTHEA KOLLAND, Leiterin des Amtes
für Kultur und Bibliotheken, Neukölln