: Nur Traber, keine Galopper
Erneut versagt die deutsche Fußballelite im Spiel gegen einen lauffreudigen, defensiven Gegner. Norwegen gewinnt verdient 1:0
AUS DÜSSELDORF ANDREAS RÜTTENAUER
Sie können es nicht. Keine Idee, nirgends. Den besten deutschen Fußballern fällt nichts ein, um gegen eine alles andere als geniale Mannschaft wie Norwegen ein Tor zu erzielen. Sie kassieren sogar eins. War ja nur ein Testspiel, in dem „die letzten fünf bis zehn Prozent“ (Philipp Lahm nach dem Spiel) sowieso nicht mobilisiert werden. Schwamm drüber! Im Länderspieljahr 2009 scheint es sowieso nur eine einzige wichtige Partie zu geben. Und die ist erst im Oktober. Bundestrainer Joachim Löw, Kapitän Michael Ballack, auch Lahm, sie alle haben in diesen Tagen schon mal auf das eventuell vorentscheidende Spiel um den Gruppensieg in der Qualifikationsgruppe 4 hingewiesen. Gegen Russland. Gegen die haben die Deutschen beim Hinspiel ja so fantastisch und so schnell gespielt, auch darauf hat Löw in Düsseldorf hingewiesen.
Dem Cheftrainer hat am Mittwochabend vor allem eines gefehlt: das Tempo. Der Spielaufbau war in der Tat arg behäbig – mit einem typischen Frings: Ballannahme in der eigenen Hälfte, stoppen, schauen, zehn, zwanzig Meter mit dem Ball laufen, stehen bleiben, schauen. Die Mitspieler der Offensivabteilung stehen (!) vor ihm. Keiner da, dem er den Ball in den Lauf spielen könnte. Kein Galopp, nur Traber waren unterwegs. Sie haben wirklich nicht schnell gespielt. Aber ist Schnelligkeit immer die alleinige Lösung?
Wie war das noch bei der EM in Österreich? Da legten die Deutschen einen miserablen Auftritt im zweiten Gruppenspiel gegen Kroatien hin. Früh, schnell und hart wurde der jeweils ballführende Deutsche attackiert. Da schien Löw seinerzeit etwas einzufallen. Er wechselte David Odonkor ein. Odonkor nahm zwar Anlauf. Doch da, wo er hinlief, stand meist schon einer. Früh, schnell und hart wurden die deutschen Spieler auch an diesem Mittwoch attackiert, wenn sie am Ball waren. Schnell hatten sich alle zehn norwegischen Feldspieler in die eigene Hälfte zurückgezogen. Hätte ein Deutscher Anlauf genommen, wäre so richtig losgerannt, es wäre immer einer da gewesen, der auf ihn gewartet hätte. Wenn sich ein derartiges Hase-Igel-Spiel entwickelt, dann sehen Jogis Buben meist schlecht aus.
Egil Olsen, der norwegische Trainer, sagte nach dem Spiel: „Ich habe mir drei Partien der Deutschen ganz genau angesehen und festgestellt, dass sie lange brauchen, um ihren Rhythmus zu finden.“ Er hatte das richtige Rezept gefunden. Es war offenbar nicht schwer. „Wir haben sie Fußball spielen lassen und wir sind gelaufen.“ Die Norweger waren es, die gezeigt haben, wie Hochgeschwindigkeitsfußball funktionieren kann. Dass die deutsche Abwehr überfordert ist, wenn defensiv eingestellte Teams schnell und direkt drauflos spielen, ein bis zwei Spieler lossprinten lassen, das hat man nicht das erste Mal gesehen.
Der deutsche Fußball, den Löw so gerne schnell und frisch aussehen lassen möchte, hat dagegen ziemlich alt ausgesehen. Können die Deutschen nur dann wirklich glänzen, wenn sie auf einen Gegner treffen, der selbst Tempofußball vorführen will? Gegen Tempoverzögerer wie die technisch feinen Kroaten oder gegen ausschwärmende Verteidigerteams wie die leichtathletischen Norweger dagegen sehen sie oft ganz, ganz schlecht aus. Wie ein Prediger verkündet Löw immer wieder seine reine Lehre vom schnellen Umschalten nach Ballgewinn.
Was aber, wenn der Gegner bei Ballgewinn – am Mittwoch waren das jede Menge – den Ball nach vorne schlägt und selbst nur einen oder zwei Spieler hinterherschickt? „Wir haben es nicht geschafft, den Gegner unorganisiert zu erwischen“, sagte Löw. Müssten die deutschen Vizeeuropameister nicht auch in der Lage sein, einen Gegner zu dominieren, der organisiert steht? Müssten sie nicht auch aus dem Stand Kreativität entwickeln können?
Da gibt es einen Bastian Schweinsteiger, der es zwar schafft, einen fußballerisch wenig begabten Norweger einmal aussteigen zu lassen, der aber nicht sieht, dass sich die fleißigen Außenbahnspieler Andreas Hinkel oder Andreas Beck immer wieder freiliefen. Da gibt es auf der anderen Seite einen Piotr Trochowski, der ohnehin die Augen viel zu sehr auf den Ball richtet, wenn er ihn am Fuß hat. Und da gibt es einen Michael Ballack, von dem man sich zumindest vorstellen kann, dass ihm einmal eine Idee kommt. Im Spiel gegen Norwegen hatte er keine. Niemand hatte eine. „Wir haben es einfach nicht geschafft, den Ball in den 16er zu bekommen“, sagte Philipp Lahm. Genau.
„Man braucht Zeit, um so etwas zu trainieren“, meinte 90-Prozent-Lahm hernach. Vor den nächsten Qualifikationsspielen in Leipzig gegen Liechtenstein (28. März) und in Wales (1. April) hat das Team eine knappe Woche Zeit, gemeinsam zu trainieren. Ja, Joachim Löw ist sich sicher, dass das gutgehen wird: „Wir wissen, dass wir uns steigern können.“ Und richtig wichtig wird es eh erst im Oktober.