Ein verzwicktes Einheitsmodell

Der Berater der Bundesregierung, Bert Rürup, stellt sein Kopfpauschalen-Modell vor. Der Streit in der Union schwelt indes weiter

von ULRIKE WINKELMANN
und LUKAS WALLRAFF

Die Debatte um die Zukunft des Gesundheitswesens ist um ein paar Zahlen reicher. Gestern stellte der Darmstädter Sozialökonom Bert Rürup (SPD) sein jüngstes Modell zur „Kopfpauschale“ alias „Gesundheitsprämie“ vor. Diese Prämie soll die Finanzierung der Krankenkassen über Lohnprozente ersetzen. Dadurch sollen erstens die Finanzierung der Gesundheit auf Dauer gesichert und zweitens die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten gelöst werden. Denn, betonte Rürup, „es ist völlig eindeutig, dass die Koppelung von Gesundheits- und Arbeitskosten beschäftigungsfeindlich ist“.

Rürups neue Pauschale beträgt für Erwachsene 169 Euro im Monat, für Kinder 78 Euro. Die Kinderprämie wird jedoch komplett steuerfinanziert – und zwar aus den zusätzlichen Steuermitteln, die dadurch entstehen, dass der bisherige Arbeitgeberanteil des Kassenbeitrags an die Arbeitnehmer ausgeschüttet wird. Damit jedoch Geringverdiener nicht belastet werden, schlägt Rürup drei verschiedene Arten eines Sozialausgleichs vor: Entweder wird der Solidaritätszuschlag in der Steuer durch einen Gesundheitszuschlag erweitert – das „Soli-Modell“. Oder die Mehrwertsteuer wird angehoben – das entspricht dem nach dem Unionsfraktionsvize Friedrich Merz benannte „Modell Merz“. Oder die Pflichtversicherten zahlen zwecks Umverteilung einen dreiprozentigen Beitrag wie bisher vom Lohn. Dieser dritte Vorschlag, sagte Rürup, belaste weder die Gering- noch die Gutverdiener stärker als bisher. Er vermute, dass „man in dieser Lösung den noch am ehesten gangbaren Weg sehen“ werde.

Rürup nutzte gestern ein gediegenes Logenhaus im Berliner Westen, um vor großem Fach- und Pressepublikum sein Gutachten vorzulegen. Erarbeitet hat er es im Auftrag der privaten Krankenversicherer mit seinem Mannheimer Kollegen Eberhard Wille. Auch die Sozialpolitiker der Parteien – von der SPD-Linken Andrea Nahles bis zum CDU-Sozialexperten Andreas Storm – waren zugegen. Alle äußerten sich zur Kaffeepause zunächst höflich-löblich.

Auch der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach unterstrich, dass Rürup als erster „wirklich saubere Berechnungen“ darüber vorgelegt habe, wie viele Milliarden für den Sozialausgleich umgeschichtet werden müssten, wenn man vom Beitragssystem abgehe. Lauterbach wie Nahles sind und bleiben freilich Hauptverfechter des Gegenmodells zur Kopfpauschale, der Bürgerversicherung.

Doch auch Storm war vorsichtig: Nun, das Rürup-Modell könne „einen Weg zur Einigung mit der CSU ebnen“. Damit deutete er an, welche Funktion Rürup im unionsinternen Streit um die Finanzierung des Gesundheitswesens zuwächst: Sein Modell gilt als weiterer Nachweis, dass die Fronten zwischen der CDU und ihrer aufs Soziale abonnierten Schwesterpartei gar nicht so verhärtet sind. Immerhin haben die Parteichefs Angela Merkel und Edmund Stoiber mehrfach angekündigt, sie wollten sich bald einigen. Der Termin hierfür verschiebt sich allerdings stetig – gestern verwies Stoiber auf irgendwann nach der Landtagswahl im Mai 2005 in Nordrhein-Westfalen.

Auch hat sich die CDU auf ihrem Parteitag schon recht deutlich für die Kopfpauschale mit steuerfinanziertem Sozialausgleich entschieden, und dies ist auch der Plan der CDU-Spitze. Die CSU, insbesondere ihr Vizechef Horst Seehofer, lehnt dies klar ab. Der Hauptstreitpunkt hierbei ist, ob eine Unterstützung von Geringverdienern aus Steuern so gut funktionieren kann wie die bisherige Umverteilung im Beitragssystem.

Doch es ist zweifelhaft, ob Rürups 3-Prozent-Umverteilungsmodell in der CSU den Anklang findet, den er sich mit manchen CDUlern erhofft. Die CSU-Spitze stellte gestern jedenfalls erst einmal auf „gemäßigt interessiert“ und spielte den Konflikt mit der CDU herunter. „Es gibt wichtigere Dinge, die wir gemeinsam schultern müssen“, sagte Edmund Stoiber nach der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Kloster Banz. Er nannte als wichtigstes aktuelles Thema die von der Union angestrebte weitere „Flexibilisierung des Arbeitsmarkts“.

Tatsächlich aber sei das Rürup-Konzept für einen Kompromiss „mehr als nur ein interessanter Vorschlag“. Was Rürup vorgeschlagen habe, „geht meines Erachtens in die richtige Richtung“, sagte Stoiber. „Ich meine vor allem den Vorschlag, der innerhalb des Systems den sozialen Ausgleich schafft“.

Auch erwähnte er den CDU-Vize Jürgen Rüttgers, der sich für das Rürup-Konzept aufgeschlossen gezeigt hatte. „In der CDU wird das ja von vielen auch als ein wichtiger Beitrag dargestellt“, sagte Stoiber. In Parteikreisen hieß es dazu, wenn die CSU jetzt scharf auf Merkel oder Merz einschlage, würde die CDU eher dazu gedrängt, sich hinter Merkel und der Kopfpauschale zu scharen.

Man setzt bei der CSU offenbar eher darauf, dass es innerhalb der CDU zu weiteren Absatzbewegungen vom puren Kopfpauschalenkonzept kommt.

Sicher ist allerdings: Ein pures Modell gibt es schon längst nicht mehr. Rürups Zahlen werden nicht die letzten bleiben. Aber je verzwickter die Modelle, desto schwerer wird es, Mehrheiten dafür zu gewinnen.