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Archiv-Artikel

Die Tücken der Petrischale

Eine Provinzposse und ein massiver Einschüchterungsversuch: Die amerikanische Staatsanwaltschaft wirft Steve Kurtz, Kunstprofessor an der New York State University in Buffalo, bioterroristische Aktivitäten vor. Obwohl sich der Vorwurf als haltlos herausgestellt hat, läuft das Verfahren gegen ihn weiter

Kurtz’ Projekt sollte die Beteiligung der USA an der Entwicklung biologischer Waffen in den Fünfzigern thematisieren

VON OLIVER TOLMEIN

Für Steve Kurtz war der 11. Mai ein schwarzer Dienstag: In den frühen Morgenstunden erlitt seine 45-jährige Frau Hope einen Herzinfarkt. Die über die Notrufnummer herbeigeholten Sanitäter konnten nur noch den Tod der renommierten Künstlerin, die wie ihr Mann Mitglied des Critical Art Ensembles war, feststellen. Wenig später wurde Steve Kurtz, Kunstprofessor an der New York State University in Buffalo, vom FBI festgenommen: Die Bundespolizei verdächtigte den Künstler, der sich zusammen mit dem Critical Art Ensemble in Projekten wie GenTerra oder der Gründung einer „Gesellschaft für Reproduktiven Anachronismus“ kritisch mit dem gesellschaftlichen Umgang mit Biotechnologie auseinander setzt, bioterroristische Aktivitäten geplant zu haben. Der Anlass für die Festnahme war so trivial wie charakteristisch für das aktuelle politische Klima in den USA: Die Sanitäter hatten wegen der Laborausstattung in Kurtz’ Wohnung Verdacht geschöpft und die Polizei alarmiert.

Statt die traurige Provinzposse zu beenden, als sie erfuhr, dass Kurtz die Bakterien in seiner Wohnung für die Vorbereitung einer Installation im Massachusetts Museum of Contemporary Art am 30. Mai benötigte, entschied sich die Staatsanwaltschaft nach 22 Stunden Steve Kurtz zwar nach Hause zu entlassen, dann aber ein Ermittlungsverfahren mit einer Anhörung vor der Grand Jury gegen ihn einzuleiten. Das Labor, die Bakterien in den Petrischalen, zahlreiche Unterlagen und Bücher von Kurtz, die bei der Durchsuchung mitgenommen waren, blieben beschlagnahmt. Im Massachusetts Museum ist nun statt der Ausstellung über die Aussaat von gentechnisch verändertem Mais eine Stellwand mit neuen Nachrichten über die staatlichen Ermittlungen gegen Kurtz zu sehen. Gleichzeitig wird Kurtz’ gesamtes persönliches und berufliches Umfeld seitdem unter die Lupe genommen: Mitarbeiter der Antiterrorismuseinheit des FBI befragten Museumskuratoren, Wissenschaftler, Freunde und Kollegen von Kurtz. Die Staatsanwaltschaft lud acht Künstler, die mit Kurtz zusammenarbeiten zu Vernehmungen vor. In den Vorladungen war von Ermittlungen wegen eines Verstoßes gegen den US Biological Weapons Anti Terrorismus Act von 1989, der durch den Patriot Act von 2002 erheblich ausgeweitet worden war, die Rede. Demnach dürfen US-Bürger keine biologischen Materialien besitzen, es sei denn, sie haben dafür einen wichtigen Grund und können eine entsprechende Genehmigung vorweisen. Die Vorgeladenen verweigerten die Aussage, weil die Staatsanwaltschaft sie nicht einfach als Zeugen vorgeladen hatte, sondern sich die Möglichkeit offen hielt, das Verfahren auf sie auszuweiten.

Mittlerweile hatte sich allerdings auch herausgestellt, dass die in Kurtz’ Wohnung gefundenen Mikroorganismen ungefährlich sind und auch seine Laborausrüstung keine verbotenen Gerätschaften enthält. Für die Staatsanwaltschaft war das aber immer noch kein Grund, das Verfahren einzustellen. Stattdessen wirft sie ihm nun in ihrer Anklage vom 5. Juli Postbetrug nach Abschnitt 18 § 1341 des US-Codes in vier Fällen vor: Demnach kann zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden, wer in betrügerischer Absicht Postdienste benutzt, indem er beispielsweise telefonische Bestellungen aufgibt, per E-Mail Aufträge erteilt oder sich Waren zusenden lässt. Dieses Delikt, das so weit gefasst ist, dass es nahezu universell einsetzbar erscheint, hat kein Pendant im deutschen Recht, weil der deutsche Betrugsstraftatbestand ausschließlich das Vermögen schützt. Auch der US-amerikanische mail fraud kommt überwiegend gegen betrügerische Formen von Telemarketing oder bei Pyramidenspielen und Kettenbriefen zum Einsatz – oder, wie Kurtz’ Anwalt Paul Cambria erläutert, wenn bei politischen Fällen andere, konkreter gefasste Delikte nicht greifen.

Kurtz, der sich bislang nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen geäußert hat, soll der Anklage zufolge Mikroorganismen von der Non-Profit-Organisation American Type Culture Collection (ATCC) im Wert von 256 Dollar bezogen haben, obwohl er dort weder, wie es deren Allgemeine Geschäftsbedingungen verlangten, ein registrierter Kunde war noch vorhatte, wissenschaftliche Experimente in entsprechend ausgestatteten und offiziell registrierten Labors zu machen. Um die biologischen Materialien zu erhalten, soll ein befreundeter Wissenschaftler, der Genetikprofessor Robert Ferrel von der Universität Pittsburgh, die Bakterien bestellt, bezahlt und dann per Post an Kurtz weitergeleitet haben. Auch gegen Professor Ferrell wird gegenwärtig ermittelt. Die Universität Pittsburgh, die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft durch das Bakteriengeschäft auch finanziell geschädigt sein könnte, hat sich in einer Erklärung hinter Ferrell gestellt.

Kurtz hat in früheren Projekten, die er noch in der ersten Maiwoche in Hamburg vorstellen konnte, Cornflakes untersucht, um festzustellen, ob für ihre Herstellung gentechnisch veränderte Organismen verwendet wurden. Aufsehen erregte in den USA eine Aktion mit toten Anthraxerregern. Sein aktuelles Projekt sollte die Beteiligung der USA an der Entwicklung biologischer Waffen in den Fünfzigerjahren thematisieren.

In den USA selbst ist das Verfahren gegen Kurtz und Ferrell in Intellektuellenkreisen auf scharfe Kritik gestoßen. Es haben sich bislang nicht nur andere Künstler, das PEN-Zentrum und zahlreiche Professoren aus geisteswissenschaftlichen Fakultäten mit den Beschuldigten solidarisiert. Auch etliche Naturwissenschaftler, die selbst mit gentechnisch manipulierten Organismen forschen, haben in Briefen und mit Erklärungen Position gegen das Vorgehen des FBI und der Staatsanwaltschaft bezogen. Nachhaltige Wirkungen auf das Vorgehen der Staatsanwaltschaft haben die Proteste allerdings noch nicht gezeitigt.

Das Verfahren gegen Kurtz läuft weiter. Um auf freiem Fuß bleiben zu können, musste er gravierende Auflagen hinnehmen: Neben regelmäßigen Drogentests, der Zustimmung zu unangemeldeten Kontrollbesuchen eines Bewährungshelfers sowie der Zusage, nur nach Genehmigung durch die Behörden ins Ausland zu reisen, musste Kurtz auch Einschränkungen für seine künftige Arbeit mit Bakterien hinnehmen. Nach Ansicht von Stephen Halpern, der an der State University of New York at Buffalo Strafrecht und Verfassungsrecht lehrt, dürfte das auch das eigentliche Ziel des so zufällig eingeleiteten Verfahrens sein: „Es wird einen Einschüchterungseffekt auf Leute haben, die in diesem Bereich der Biotechnologie-Kritik arbeiten, und diese Einschüchterung wird sich auch auf andere Gebiete ausweiten.“