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Archiv-Artikel

Japanisches Verwirrspiel

Romantische Verklärung im Waldgasthaus: Christoph Peters lässt in seinem Roman „Mitsukos Restaurant“ kulturelle Projektionen aufeinanderprallen

VON CHRISTOPH SCHRÖDER

Es gab einmal eine Zeit, in der der Ferne Osten tatsächlich noch ein exotischer Ort war und die japanische Küche, der rohe Fisch im Besonderen, noch nicht in den Niederungen des Mainstream und der „All you can eat“-Pampe angekommen war. Zu dieser Zeit, zu Beginn der Neunzigerjahre, spielt Christoph Peters neues Buch. Doch im Grunde beginnt alles noch viel früher: Achim Wiese und sein bester Freund Wolf Erben fahren im Jahr 1984 nach Düsseldorf, der japanischen Hauptstadt Deutschlands, um authentisch zu essen. Sie erwarten Sushi und finden etwas ganz anderes, was sie nicht bezahlen können. Schnitt. Acht Jahre später ist Wolf ein erfolgreicher Schönheitschirurg und Achim ein gebildeter Taugenichts, der sich als Schauspieler versucht, nebenbei Gedichte schreibt und ein geradezu urdeutsches Hobby hat – das Wandern. Eines Tages steht er im Wald vor einem Ausflugslokal irgendwo in der rheinischen Provinz; angeboten werden die üblichen Wurstplatten und, zu Achims Erstaunen, japanische Spezialitäten. Achim geht hinein, wundert sich, dass der Kellner das R fehlerfrei aussprechen kann, ist enttäuscht darüber, dass eine Frau in der Küche steht, ganz gegen jede Tradition, befindet das Essen für ausgezeichnet und ist von nun an hineingezogen in dieses Szenario, in Mitsukos Restaurant.

Projektion – das dürfte das Schlüsselwort sein, um das Verhältnis des bis unter den Scheitel mit Wissen und Halbwissen vollgestopften Achim zu der schönen Köchin Mitsuko zu begreifen. Daraus entwickelt Christoph Peters in seinem vierten und ungemein leichthändigen Roman ein so geschicktes wie amüsantes Verwirrspiel. Dass der Kellner, wie sich schnell herausstellt, kein assimilierter Japaner, sondern ein analphabetischer Metzgermeister und noch dazu Mitsukos Lebensgefährte ist, ist eine der Pointen in diesem Zusammenhang. Achim wiederum verliebt sich alsbald in Mitsuko und heuert als Küchenhilfe im japanischen Ausflugslokal an, an dessen Theke sich Abend für Abend die üblichen Verdächtigen einfinden: Achims Freunde, die bei Schlagermusik aus dem Radio Bier trinken und Schnitzel essen wollen. Die Zeit scheint noch nicht reif für Japan in der Provinz.

Währenddessen entwickelt sich in der Küche ein erotisches Spiel, das hauptsächlich aus vermeintlichen Zeichen, absichtlichen oder unabsichtlichen Berührungen und Gesten besteht. Dieses Spiel mit kulturellen Exotismen und westlichen Männerfantasien hält Peters bis zum Schluss in der Schwebe: „Nur Achim führte sie sich in ihrer ganzen Weiblichkeit vor, verlockend und klug, souverän und verletzlich. Sie schminkte sich überhaupt erst, seit er in ihrer Küche arbeitete – zumindest bildete er sich das ein –, zog einen Lidstrich, der ihr etwas Raubtierhaftes gab, und legte dunkles Rosé auf die Lippen.“ Und: „Ihn umwarb sie, soweit es ihre anerzogene Zurückhaltung erlaubte.“ Da ist er wieder, der kulturelle Kontext Mitsukos, die aus den patriarchalischen Zwängen einer angesehenen Samuraifamilie nach Europa geflohen war.

Achims erotisch-fernöstliche Verwirrung wird noch gesteigert durch die, wie er glaubt, eindeutigen Avancen der jungen chinesischen Servicekraft. Alles in allem ein Reigen an Verführung, Anziehung, Abstoßung, Begehren und Enttäuschungen, der durch den nur auf den ersten Blick tumben Eugen zusätzlichen Reiz gewinnt. Die klassischen Motive der deutschen Romantik – Wandern, Wald, sich verzehrende Liebessehnsucht – prallen auf die fernöstliche Lebenswelt. Und beides verträgt sich erstaunlich gut miteinander, mal davon abgesehen, dass hinter Achims hochtourig laufenden Verklärungsapparat so manch offensichtliche Tatsache verschwindet wie beispielsweise die, dass in Mitsukos Restaurant die japanische Mafia verkehrt.

Christoph Peters hat seinem Roman eine zweite Erzählebene hinzugefügt, die sich erst ganz zum Schluss in die Gegenwart einfügt. Darin geht es um die traditionelle japanische Teezeremonie und um die Jahrhunderte zurückliegende Geschichte eines berühmten Töpfers und eines Fürsten, der unbedingt an eine von dessen Teeschalen gelangen will. In diesen Passagen, so scheint es, tappt Peters hin und wieder in die von ihm selbst aufgeklärte Folklorefalle, so mythisch-wabernd-raunend geht es in diesen jeweils nur zwei oder drei Seiten umfassenden Abschnitten zu. Doch weder das noch die frappierend hohe Zahl an Interpunktions- und Satzfehlern, von denen „Mitsukos Restaurant“ durchzogen ist („Als er noch ein berühmter Naturforscher hatten, werden wollen …“) ändern letztendlich etwas daran, dass Christoph Peters ein eleganter, komischer und sinnlicher Roman gelungen ist, der nicht zuletzt auch das Essen an sich zelebriert.

Als Achim eines Tages in einen Fischkopf beißt, heißt es: „Seiner festen Überzeugung nach beruhten die Abwehrreflexe, die viele jüngere Frauen in seiner Umgebung allen möglichen Speisen gegenüber entwickelten, auf neurotischen Projektionen, denen nachzugeben in letzter Konsequenz die Selbsteinweisung in eine sterile Zelle bedeutet.“ Das musste endlich einmal gesagt werden.

Christoph Peters: „Mitsukos Restaurant“. Luchterhand Verlag, München 2009, 416 Seiten, 19,95 Euro