: Wahlalternative statt Reihenhaus: Irina Neszeri
Beinahe wäre Irina Neszeri als Lehrerin verbeamtet worden – „doch dann kam die Welt“: Nach Alternativer Liste, JungdemokratInnen und PDS ist die 30-Jährige heute NRW-Sprecherin der neu gegründeten linken Wahlalternative
Fast wäre Irina Neszeri nach dem Abi in einem Reihenhaus in Duisburg-Rheinhausen gelandet, zwei bis drei Kinder ihres Jugendfreundes hätten neben dem Hochofen gespielt und sie wäre verbeamtete Lehrerin. „Aber dann kam die Welt“, sagt die 30-Jährige und breitet die Arme aus. Heute ist Neszeri Frontfrau und Sprecherin der „Wahlalternative“, des vor zehn Tagen gegründeten, bundesweiten Linksverein.
„Das ging alles ganz schnell“, sagt sie. Bei der Brillenträgerin mit den kurzen schwarzen Haaren läuft alles ganz schnell und pragmatisch. Sie verließ ihr „provinzielles Nest“, mischte sie an der Duisburger Uni im Fachschaftsrat mit, wurde erst Sprecherin der Hochschulgruppe „Alternative Liste“, dann erste Bundesvorsitzende des Bündnisses linker Hochschulgruppen „Lira“, dann der „JungdemokratInnen.“ Ihre Studi-Karriere endete bei der PDS in Duisburg, für die sie vier Jahre im Rathaus saß, bevor sie im Februar 2003 austrat. Der PDS ging das alles zu schnell, heute wird Neszeri in ihren Publikationen als Polityuppie beschimpft. „Das sind Sektierer“, sagt Neszeri, „echt schwierige Leute“, und überhaupt habe die PDS im Westen keine Chance.
Sie winkt ab. Sie sieht das ganz nüchtern. „Da habe ich mich nach etwas Neuem umgeguckt“ und im richtigen Augenblick sei die Wahlalternative gekommen. Genau ihr Ding. Sie will die Vermögenssteuer, Bildung für alle. Ihr Freund und „WG-Mitbewohner“ Marc Mulia ist Landeskoordinator. Sie arbeitet jeden Tag zehn Stunden zuhause am Rechner, beantwortet Fragen von Interessenten, aktualisiert Terminkalender, gibt enttäuschten SPDlern und Grünen, Gewerkschaftern und Hartz-Leidenden Tipps, wie sie ihre Wahlalternative vor Ort organisieren. Seit der Bundesgründung und den Medienberichten rufen täglich über fünfzig Menschen an. „Einige wollen auch nur pöbeln, wir schadeten der SPD.“ Aber das seien Leute aus dem Machtapparat der SPD. Überhaupt habe die Partei sich selbst kaputt gemacht.
Auf die Gewerkschaften lässt Neszeri dagegen nichts kommen, sie, die als Jugendliche mit der IG-Metall in Rheinhausen demonstrierte. „Die Gewerkschaft ist obligatorisch“, sagt sie. Nur mit den Arbeitervertretern sei es möglich, eine gerechte neue Politik zu machen. In ihrer Magisterarbeit analysierte sie die Berichterstattung in taz und FAZ über die IG-Metall-Krise des vergangenen Sommers. Jetzt trifft sie bei der Wahlalternative Leute aus dem Gewerkschaftsmilieu, die auf ihrer Literaturliste standen. „Das ist schon klasse, wir schaffen eine neue Bewegung.“ Sie reckt die Faust in die Luft.
Neszeris Steckenpferd aber ist die Bildungspolitik, die Hochschuljahre mit Uni-Streiks, nächtelangen Fachschaftssitzungen haben sich eingeprägt. Neszeri will eine gemeinsame Schule und mehr Schuljahre für alle. Das habe sie sogar schon gewollt, als sie noch Lehrerin werden wollte. An ihren ersten freien Tagen seit vier Wochen geht sie auf der Regattabahn laufen, in der Sauna schwitzen – und liest Harry Potter: „Ganz schön bürgerlich.“ ANNIKA JOERES