: Die 45-Minuten-Frage
BBC-Reporter im Clinch: Bei der Untersuchung zum Fall David Kelly widerspricht die Fernsehfrau Susan Watts dem Radiomann Andrew Gilligan. BBC-Position bekommt Risse
Die Position der BBC in der David-Kelly-Affäre geriet am dritten Sitzungstag der Untersuchungskommission unter Lordrichter Brian Hutton ins Wanken. Am Dienstag hatte Andrew Gilligan, Reporter des BBC-Radiomagazins „Today“, mehrfach bekräftigt, der Biowaffen-Experte Kelly habe Tony Blairs Kommunikationsdirektor Alastair Campbell für die „Zuspitzung“ eines Dossiers über die Einsatzfähigkeit irakischer Massenvernichtungswaffen verantwortlich gemacht (taz vom 13. 8.).
Gestern widersprach ihm seine BBC-Kollegin Susan Watts, die als Reporterin des BBC-Fernsehmagazins „Newsnight“ ebenfalls und deutlich länger als Gilligan zu Kelly Kontakt hatte. Zur zentralen Frage, ob Campbell die Behauptung, der Irak könne innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen zum Einsatz bringen, persönlich dem im September 2002 veröffentlichten Papier hinzugefügt habe, sagte Watts gestern nach britischen Online-Berichten: „Ich glaube, es gab deutliche Unterschiede zwischen dem, was er (Dr. Kelly) zu mir bzw. Andrew Gilligan gesagt hat. (…) Er hat auf jeden Fall nicht gesagt, das die 45-Minuten-Behauptung von Alastair Campbell oder irgendwem sonst aus der Regierung eingefügt wurde“.
Die BBC-Berichterstattung über die angebliche Zuspitzung des Dossiers, um die britische Bevölkerung von der Unvermeidbarkeit eines Krieges im Irak zu überzeugen, hatte seit Mai für den schärfsten Konflikt zwischen der öffentlich-rechtlichen Anstalt und einer britischen Regierung seit den 1930er-Jahren geführt. David Kelly, ein früherer UN-Waffeninspektor im Irak und zuletzt Mitarbeiter des britischen Verteidigungsministeriums, war hierbei Hauptquelle der BBC und beging kurz nach seiner „Enttarnung“ Mitte Juli Selbstmord.
Quelle: Geheimdienst
Nach Watts Darstellung soll nun die „45-Minuten-Behauptung“ bereits in einem früheren, von den Geheimdiensten vorgelegten Entwurf für das Dossier vorkommen. Unstrittig bleibt in der Darstellung von Watts wie Gilligan, dass Kelly diese nur von einer Quelle gestützte Einschätzung für überzogen hielt.
Weitere Risse hatte die Position der BBC schon am Vortag erhalten, als der Hutton-Kommission Dokumente über die interne Diskussion zu Gilligans „Today“-Beitrag und einen darauf folgenden Artikel des BBC-Mitarbeiters in der konservativen Daily Mail vorgelegt wurden. „Die Geschichte war (…) guter investigativer Journalismus“, schrieb „Today“-Chefredakteur Kevin Marsh am 27. Juni, kritisierte aber scharf Gilligans Sprachstil in der Sendung: Das größte Handicap sei dessen „lockerer Umgang mit Worten“ und „mangelnde Sensibilität im Ausdruck“.
Auch das BBC-Aufsichtsgremium, das Board of Governors, stand nicht einstimmig hinter Gilligan, obwohl die BBC-Führung dies stets behauptet hatte. Laut Guardian zeugt das Protokoll der entsprechenden Sondersitzung des Gremiums Anfang Juli vielmehr von höchst unterschiedlichen Meinungen. Einige Governors hätten von BBC-Gerneraldirektor Greg Dyke eine externe Untersuchung der Vorwürfe verlangt, seien aber überstimmt worden.
Obwohl die Ergebnisse der Hutton-Kommission frühestens im September vorliegen dürften und die Aussage diverser Spitzenpolitiker – darunter Verteidungsminister Geoff Hoon und Regierungschef Tony Blair – noch aussteht: Für einen Teil der britischen Medien ist die Lage schon heute eindeutig. Die Times und das Massenblatt Sun sehen die BBC als alleinige Schuldige, die verantwortungslos gehandelt habe. Die Sun bezeichnete Gilligan sogar als Lügner und „zweitklassigen Journalisten“. Welch Wunder. Hatte Times- und Sun-Besitzer Rupert Murdoch doch höchstpersönlich alle seine Blätter verbindlich auf einen Pro-Kriegs-Kurs festgelegt. STG