Schöner Schein

Der Fürst als Mittelpunkt der Weltordnung: Edle, selten benutzte Preziosen, die schon damals nur Repräsentationszwecken dienten, präsentiert die aus Dresden importierte Schau „Pracht und Macht“ im Museum für Kunst und Gewerbe

von Hajo Schiff

Noch nie gab es in Hamburg derartig viele fürstliche Prunkobjekte zu sehen, wie derzeit im Museum für Kunst und Gewerbe. Denn während des Umzugs der Schatzkammer vom Nachkriegsprovisorium in das rekonstruierte Grüne Gewölbe im Dresdner Schloss dürfen einige der Preziosen auf Wanderschaft gehen – und Hamburg ist neben New York und Rom eine der drei Stationen. Allerdings ist der Zeitrahmen der Objekte anders, als vielleicht erwartet. Denn es geht in der Ausstellung Pracht und Macht nicht um das wohl bekannte barocke Dresden Königs August des Starken, sondern um den Renaissancehof seiner etwa 100 Jahre älteren Vorgänger.

Seit 1547 war Dresden Residenz eines frisch ernannten Kurfürsten. Die neue Würde, zumal in der besonderen Rolle als Garant der lutherischen Reformation bei gleichzeitig guten Beziehungen zum Kaiser, erforderte besondere Anstrengungen zur höfischen Repräsentation – und der durch den sächsischen Silberbergbau erwirtschaftete Reichtum ermöglichte eine luxuriöse Hofhaltung. Mit nur etwa 15.000 Einwohnern war Dresden um 1600 eine relativ kleine Residenzstadt, der durch Kultur präsentierte Anspruch des Landes war aber gewaltig. Mit der ersten deutschen Landesgesetzgebung, der zentralisierten Verwaltung, dem Waffenlager im 1559 errichteten Zeughaus und der 1560 gegründeten Kunstkammer konstruierte Kurfürst August eine Trias aus Verwaltung, Verteidigung und verschwenderischer Repräsentanz, die in den Friedensjahrzehnten bis zum Dreißigjährigem Krieg Kursachsen eine goldene Zeit bescherte.

Knapp 200 Objekte bieten nun in Hamburg einen erstklassigen Einblick in diese historische Epoche – aber eben ganz auf der Ebene schönen Scheins. Es ist ein wenig ein Blick in fernen Luxus, wie ihn gegenüber heutigen Fürstenhäusern manche bunten Magazine anbieten.

Die museale Distanz ist dabei gar nicht so unangemessen: Die edlen und aufwendigen Objekte wie Turnierrüstungen und Paradewaffen, Tischaufsätze und Prunkgeschirr dienten schon damals weitgehend der Repräsentation und wurden nur zu seltenen Anlässen wirklich benutzt. Andererseits waren solche Objekte nicht nur Verschwendung: Es gab auch einen wirtschaftlich durchaus interessanten Luxusartikelmarkt. Kunsthandwerker zogen an den Dresdner Hof, und der in Sachsen gewonnene edle Serpentin-Stein wurde zu einem Exportprodukt.

Allerdings zeigen auch die Dresdner Sammlungen, wie sehr die süddeutschen Hochburgen des Kunsthandwerks Augsburg und Nürnberg die Qualität und den Markt dominierten. Und wirklich gute Kunst kam zu jener Zeit aus Italien, was die Florentiner Bronzefiguren von Giambologna demonstrieren.

Ein zumindest damals exotisches Straußenei etwa mit Hilfe gekonnter Silberschmiedearbeit in die Figur eines Straußen zu überführen – das hat sogar philosophischen Witz. Dennoch bleibt man vor manchen Wunderkammerkunststückchen mitunter ebenso beeindruckt wie ratlos. Wofür nur der ganze Prunk? Da mögen dann die Vitrinen mit aufwendig dekorierten Werkzeugen eine Möglichkeit des Verständnisses eröffnen: In einem voll funktionierenden höfischen System ist der Fürst nicht nur die gottgleiche Verkörperung der Weltordnung, er ist auch der oberste Meister und Garant aller Gewerke. Kurfürst Augusts herausragende Sammlung edel gestalteter Werkzeuge, die einzige ihrer Art, die sich aus dem 16. Jahrhundert erhalten hat, soll er auch über symbolische Gesten hinaus benutzt haben. Ebenso wie Fechten und Jagd gehörte mindestens das Kunstdrechseln mit Elfenbein und Serpentin an eigenen Drehbänken damals zur Ausbildung eines Fürsten.

Am Ende der ausgiebigen Betrachtung dieser wertvollen, eigentlich nutzlosen aber durchaus bedeutenden Dinge drängt sich eine Frage auf: Was sind eigentlich heutige repräsentative Statussymbole? Und warum schnitzen die Bankenvorstände mit ihren Millionenabfindungen eigentlich nicht selbst goldene Aktien?

„Pracht und Macht – Der Dresdner Hof um 1600“, Museum für Kunst und Gewerbe; Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 26.9.; Katalog 35 Euro