: „Beim Bund wurde ich Antimilitarist“
Ralf Siemens
Als Schüler sympathisierte er mit den Befreiungskämpfen in Mittelamerika und Afrika und ging zur Bundeswehr, um den Umgang mit Waffen zu lernen. Bei der Luftwaffe bildete er junge Rekruten aus und übte das Befehlen. Das hat Ralf Siemens zum Antimilitaristen gemacht. Heute ist er 42 Jahre alt und langjähriger Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Die Tage um den 20. Juli bedeuten alljährlich Stress für ihn: Die Bundeswehr lädt zum Gelöbnis in den Bendlerblock – und die Kampagne zum Protest dagegen. Doch nackte Störer auf dem Aufmarschplatz und gefakte Scharpingtöchter sind schwer zu toppen
Interview FELIX LEEund SABINE AM ORDE
taz: Herr Siemens, Sie sind 1983 nach Westberlin gekommen, das damals noch bundeswehrfreie Zone war. Waren Sie Wehrflüchtling?
Ralf Siemens: Nein, ich war Reservist bei der Bundeswehr.
Wirklich? Kann man sich bei einem überzeugten Antimilitaristen kaum vorstellen.
Ist aber so. Ich habe meinen Wehrdienst 1982/1983 bei der Luftwaffe in Westdeutschland absolviert.
Warum?
Eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst war damals bei mir noch nicht da. Und ich wollte nicht unehrlich sein. Außerdem habe ich mit Befreiungskämpfen in Mittelamerika und Afrika sympathisiert. Ich dachte, in der Bundeswehr lerne ich den Umgang mit Waffen. Vielleicht kann ich das noch brauchen.
1982/83, das war auch der Höhepunkt der Friedensbewegung. Hat Sie das nicht erreicht?
Nicht so richtig. Die Methoden der Friedensbewegung waren nicht meine. In der Friedensgruppe in Salzgitter in Niedersachsen, wo ich herkomme, haben sich montags 20 Menschen getroffen, sich die Händchen gehalten und irgendwelche Lieder gesungen.
Haben Sie die Bundeswehr damals schon abgelehnt?
Ja, ich war gegen die Hochrüstung, die Nato und auch die Bundeswehr. Natürlich war es ein Widerspruch, trotzdem hinzugehen. Aber damals dachte ich: Für mich gibt es keine Alternative.
Wie war das Soldatenleben?
Dort bin ich zum Antimilitaristen geworden. Vorher konnte ich mir nicht vorstellen, wie es dort zugeht. Wie massiv militärische Erziehung auf die Persönlichkeit junger Männer einwirkt. Wir sprachen auf einmal lauter, kürzer, wir nahmen den Befehlscharakter auf. Ich weiß noch, wie mich meine damalige Freundin besucht hat. Ich war gerade Wachsoldat und uniformiert. Sie hat mich nicht erkannt. Ich bin dann sogar Ausbilder geworden.
Dann durften Sie befehlen.
Das war eine sehr spannende Erfahrung. Ich habe meine Befehlsgewalt nicht in Form von Schreien oder dumpfem Unteroffiziersgehabe geltend gemacht. Sondern auf einer kameradschaftlichen Ebene mit Vorbildcharakter. Und das Gespenstische für mich war, dass das wesentlich besser funktioniert hat als pures Autoritätsgehabe. Das heißt, ich habe es für die jüngeren Rekruten erträglicher gemacht. Und deshalb waren sie motivierter.
Hat das Spaß gemacht?
Nein. Zu keiner Phase. Und der Erfolg hat mich eher erschreckt.
Hat es Ihnen wenigstens genützt?
Diese 15 Monate waren ein Motivationsschub für mein antimilitaristisches Engagement. Trotzdem könnte ich gut auf diese Zeit verzichten.
Haben Sie später noch verweigert?
1984 bin ich zu einer Beratungsstelle gegangen und habe gesagt: Ich bin ehemaliger Soldat der Bundeswehr und will verweigern. Die haben geantwortet: Das geht doch gar nicht. In Westberlin gibt es keine Wehrpflicht. Ich habe mich dann im Rahmen meines Politikstudiums mit Konfliktforschung, Nato und Bundeswehr beschäftigt. Erst 89/90 war ich persönlich mit dem Thema wieder konfrontiert. Der Auslöser war der zweite Golfkrieg, also der von den USA angeführte Angriffskrieg auf den Irak zur angeblichen Befreiung Kuwaits. Zeitgleich begann ja im größer gewordenen Deutschland auch die Debatte um das Ende der außenpolitischen Zurückhaltung. Das führte zu einer sehr großen Reservistenverweigerungswelle. Ich habe dann auch einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt. Aber ich wollte denen nicht mein Gewissen erklären. Nur so aber hätte eine Verweigerung funktioniert.
In Berlin wurde mit der Vereinigung 1990 die Wehrpflicht eingeführt. Hat Sie das zur Kampagne gebracht?
Die Wehrpflicht war damals für mich nicht so spannend. Für mich war viel interessanter: Was passiert nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation, was gibt es für radikale Möglichkeiten der Abrüstung? Aber die Wehrpflicht hat damals den meisten viel mehr unter den Nägeln gebrannt. Es waren damals ja mehrere Jahrgänge von Westberlinern, die die Bundeswehr plötzlich einziehen wollte, auch rückwirkend. Dazu zehntausende von Wehrflüchtlingen. Die haben das Büro der Kampagne eingerannt.
Das ist jetzt 14 Jahre her. Seit dem hat sich viel geändert – für Antimilitaristen nicht wirklich zum Besseren.
Das Militär ist heute etablierter als Anfang der 90er-Jahre. Bundeswehr und Nato sind damals in eine Sinn- und Akzeptanzkrise geraten. Die Institutionen wussten damals selbst nicht: Welche Aufgaben haben wir noch? Und der Bevölkerung konnte nicht ganz einsichtig vermittelt werden, wozu man diese großen, unsäglich viel Geld verschlingenden Gewaltapparate noch braucht. Das hat sich geändert. Abgesehen vom Terrorismus stehen heute weite Teile der Bevölkerung sicherheitspolitische Fragen relativ teilnahmslos gegenüber. Den meisten ist doch egal, ob die Bundeswehr im Kosovo oder in Afghanistan eingesetzt ist.
Hat Ihre Arbeit also nicht gefruchtet?
In der Wehrpflicht haben wir sehr viel erreicht. Und wir haben es geschafft, dass die Bundeswehr in Berlin große Mühen hatte, sich als ein normaler Faktor zu etablieren. In der großen Politik sind wir aber nicht in der Lage, an den großen Zeitläuften etwas zu ändern.
Machen wir es mal etwas konkreter. Am Dienstag ist der 20. Juli. Dann steht wieder ein Bundeswehrgelöbnis im Bendlerblock an – und es gibt wieder Ihre Proteste dagegen. Die meisten interessiert das nicht mehr.
Das interessiert schon seit 1999 weniger. Dieser Bruch hat mit der Regierungsübernahme von Rot-Grün zu tun. Seitdem ist – nicht nur im antimilitaristischen Bereich – ein bestimmtes kritisches Potenzial aufgesogen worden. Wenn eine CDU-Regierung sich an einem Krieg im Kosovo beteiligt hätte, hätte das zu einer ganz anderen Debatte in der Gesellschaft geführt. Beim Irakkrieg war das noch deutlicher. Die Unterstützung der Bundesrepublik war massiv, aber der Kanzler stellt sich hin und sagt, wir halten uns da raus, und wird als Friedenskanzler gefeiert – das entspricht einfach nicht der Wahrheit. Es gibt in der Bundeswehr auch ein Rollback, weg vom Staatsbürger in Uniform hin zum Kämpfertypen. In der Ausbildung wird den Leuten gesagt: Wenn ihr im Einsatz nicht ausreichend Handschellen habt, nehmt Stacheldraht. Das ist ein Skandal, und keiner regt sich auf.
Ist das nicht frustig?
Nein, Frustpotenzial sehe ich nicht. Mir war von Anfang an klar: Wenn man es mit dem Militär aufnimmt, braucht man einen ganz langen Atem. Und wir erreichen ja im Tagtäglichen etwas. Die Wehrpflichtdebatte läuft langsam in unsere Richtung, das Verwaltungsgericht in Köln hatte sich in seinem Urteil zur Frage, ob die Einberufungspraxis noch dem Gleichheitsgrundsatz entspricht, auf Fakten berufen, die durch unsere Arbeit bekannt geworden sind. Das ist doch ein wunderschönes Erfolgserlebnis und das Gegenteil von Frust.
Und das Gelöbnis? 1999 waren die Proteste ein großer Erfolg: Über tausend Gegendemonstranten, und im Bendlerblock störten ein paar Nackte die Veranstaltung. Inzwischen interessiert Ihr Gelöbnix außer ein paar Eingeschworenen niemanden mehr. Macht das trotzdem noch Spaß?
Ja, das macht immer noch Spaß. Wobei die Konzeption ja immer zwei Punkte umfasst: Über die Demonstration soll Öffentlichkeit hergestellt werden, und dann gibt es Aktionen wie die 1999. Die Scharpingtöchter 2001 haben mir übrigens noch viel besser gefallen. Da lassen sich zwei Frauen im Abendkleid von einer Luxuslimousine vorfahren, geben sich als Töchter des Verteidigungsministeriums aus, und prompt knallen die Feldjäger die Hacken zusammen. So wunderschön kann man die Befehlshierarchie karikieren. Das ist natürlich schwer zu toppen. Aber wir machen das ja nicht nur für die Medien, sondern auch für die Bundeswehr. Sie kann inzwischen keine öffentlichen Gelöbnisse mehr feiern, weil sie jedes Mal aufs neue beunruhigt ist, was wir uns wohl dieses Jahr einfallen lassen.
Ist die Kritik heute auch schwerer zu vermitteln, weil das Gelöbnis jetzt am 20. Juli ist?
Ja, weil man da gegen den herrschenden Konsens argumentieren muss, die Attentäter des 20. Juli seien Vorbilder, auf die sich nicht nur die Bundeswehr berufen könne. Das ist falsch, denn dabei wird ausgeblendet, dass die Mehrheit der 20.-Juli-Attentäter den Vernichtungskrieg erst ermöglicht hat und an den Verbrechen der Wehrmacht beteiligt war.
Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?
Der Informationsbedarf in Sachen Verweigerung ist wesentlich geringer. Heute werden nur noch 80.000 Wehrpflichtige einberufen, Anfang der 90er-Jahre waren das noch doppelt so viele. Außerdem sind die Möglichkeiten, drumrum zu kommen, so vielfältig, dass es nicht unbedingt eines ausführlichen Informationsgesprächs bedarf. Andererseits aber, weil diese Wehrpflicht nicht mehr so auf den Stiefeln drückt …
… eine interessante Redewendung.
… (grinst) das ist Militärjargon, etwas von der militärischen Sozialisation ist da noch in meinem Hinterkopf.
Und andererseits?
Andererseits aber ist die Bereitschaft, sich gegen die Wehrpflicht zu engagieren, auch geringer geworden. Damals hatten wir Arbeitsgruppen mit 10 bis 15 Leuten, die sich nicht zuletzt aus eigener Betroffenheit organisiert hatten. Das gibt es heute nicht mehr. Wir arbeiten nun mehr inhaltlich und transportieren diese Inhalte vor allem im Internet. Inzwischen sind wir bundesweit übrigens einmalig.
Die Wehrpflicht wird immer mehr ausgehöhlt, über die Abschaffung wird diskutiert. Ist es an der Zeit, die Kampagne umzubenennen?
Nein, die Wehrpflicht wird uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben, wenn auch vielleicht in einer etwas anderen Form. Otto Schily hätte ja gern eine allgemeine soziale Dienstpflicht, weil man vor dem Hintergrund des Terrorismus den Abwehrwillen der deutschen Bevölkerung stärken müsse. Außerdem ist die Wehrpflicht ein Rekrutierungsmittel, das die Bundeswehr braucht, um an Abiturienten heranzukommen. Unter denen ist nämlich der Bundeswehrdienst ausgesprochen unbeliebt.
Und Sie? Sie sind jetzt 42. Bleiben Sie der Kampagne bis zur Rente erhalten?
Nein. Bestimmt nicht. Die politische und soziale Situation hierzulande verschlechtert sich zusehends, und es gibt kaum mehr ein gesellschaftliches Aufbegehren. Ich überlege Deutschland zu verlassen, weil die Bedingungen hier immer unerträglicher werden.