Masturbation am Feiertag

Alles, nur keine „Ostkunst“: Die Ausstellung „Ungleiche Platzverteilung“ in Leipzig zeigt verschiedene Künstler aus Osteuropa, die sich mit kulturellen Praktiken im öffentlichen Raum beschäftigt haben

Den Arbeiten fehlt jeder Hinweis auf Balkan, Osten oder Postkommunismus

VON JENS KASTNER

Mit dem öffentlichen Raum beschäftigen sich acht Künstlerinnen und Künstler, die die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig in ihrer gegenwärtigen Ausstellung versammelt hat. Dass es sich dabei sämtlich um Leute handelt, die östlich der ehemaligen EU-Grenzen geboren und aufgewachsen sind, ist Teil der Ausstellungskonzeption und wird zugleich problematisiert. Denn auch im künstlerischen Feld gibt es eine „Ungleiche Platzverteilung“, gegen die nur mit vielfältigen Strategien angegangen werden kann. Wie jeder Umverteilungskampf ist das eine langwierige Angelegenheit.

Darauf verweist allein die Tatsache, dass die nach ihrer Eröffnung 1998 zunächst an US-Künstlern orientierte Galerie mit dem neuen Fokus in arge Legitimationsnöte gerät. Auf die Frage aus dem Publikum, wann denn endlich der Schwerpunkt Ostkunst vorbei sei, kann die Entgegnung allerdings nur ambivalent sein. Denn einerseits befragt die Reihe „Kulturelle Territorien“, in der auch die gegenwärtige Schau stattfindet, die Rolle der Kunst in gesellschaftlichen Transformationsprozessen gerade anhand von künstlerischen Positionen aus Zentral-, Ost-, Nordost- und Südosteuropa. Damit bekennt sie sich ohne Zweifel zu einer strategischen Repräsentationsfunktion.

Andererseits aber thematisieren die gezeigten Arbeiten den öffentlichen Raum als Formation, als Bühne und als Raum der Repräsentation – also ohne jeden Hinweis auf Balkan, Osten oder Postkommunismus.

Um die Herstellung von Räume zu analysieren, greifen weder Roman Ondak noch Arunas Gudaitis auf geografische oder politische Erklärungsmuster zurück. Beide rekurrieren auf interaktive und performative Akte. Gudaitis filmt eine Gruppe männlicher Jugendlicher in Vilnius, die sich allabendlich treffen, um im Kreis zu stehen und zu reden. Mit dem Phänomen der Warteschlange nähert sich Ondak einem ähnlich kurios-nornalen Ritual. Die Konstruktion des Raumes wörtlich nehmend, initiiert und dokumentiert Ondak solche menschlichen Geduldsgebilde.

Eine ähnliche Strategie wendet Igor Tosevski an, der in 27 Buntfotos seine über zwei Monate in Skopjes Innenstadt geschaffenen „free territories“ (2004) festhält. Auch vor der Leipziger Galerie hat er ein solches Terrain als „Kunst- und Denkraum“ abgesteckt – diesmal nicht mit Pinsel auf Asphalt, sondern in den Rasen vor dem Museum gemäht.

Die ironische Verdoppelung gibt jedoch die Sicht auf die materiellen Konstitutionsbedingungen öffentlichen Raumes nicht ganz so gut frei, wie es weniger verspielte Arbeiten tun. Tadej Pogacars Arbeiten sind dabei der klassisch sozialkritischen Variante zuzurechnen.

Mit sozialen Minderheiten beschäftigt, stellt er in „Kings of the Street“ (1996) Obdachlose für den Zeitraum seines Projekts an und lässt die im Zuge der Stadtsanierung Vertriebenen ihre ehemaligen Innenstadtterritorien wieder einnehmen. Wird hier Sichtbarkeit wieder hergestellt und damit Ausschließung thematisiert, so weist Sanja Ivekovic darauf hin, dass wirkmächtige Räume nicht per se auf visuelle Erfahrbarkeit angewiesen sind. In einer Performance aus dem Jahr 1979 legt sie die subtile Verschränkung von politischem und privatem Platznehmen ebenso offen, wie sie sie evoziert. Während einer Parade, die den Präsidenten Tito auch an ihrem Wohnhaus vorbeiführt, sitzt Ivekovic betont unbeteiligt auf ihrem Balkon, trinkt Whisky, liest ein Buch und beginnt zu masturbieren. Von unten nicht sichtbar, weiß sie um den Wachposten auf dem Dach gegenüber. Nachdem dieser sie gesichtet und seinen Kollegen auf der Straße informiert hat, endet die Performance, als Letzterer an der Wohnungstür klingelt und bittet, Objekte und Personen vom Balkon zu entfernen. So fällt das Ende der Aktion mit der Einlösung des Titels „Triangle“ in eins.

Um die öffentliche Relevanz des Tuns von Frauen geht es auch bei Maja Bajevic. Sie engagierte 1999 fünf Flüchtlingsfrauen, die mit ihr an fünf Tagen jeweils fünf Stunden eine vermeintlich typische Arbeit verrichteten: Für „Women at Work – Under Construction“ begaben sich die Frauen auf das vor der Nationalgalerie von Bosnien-Herzegowina in Sarajevo befindliche Baugerüst und stickten traditionelle Motive in das Baunetz. Die klassische Heimarbeit vor Publikum, das abgewertete Kunsthandwerk im Kontext der „ernsten“ Kunst, die Frauen auf der männlichen Domäne Baustelle – Bajevic fängt also verschiedene Ebenen geschlechtsspezifischer Ungleichheit ein und zeigt sie als Film.

Ähnlich bühnenhaft fungiert die Innenstadt bei Milica Tomic. In großformatigen Farbfotos dokumentiert sie ihre Performance „Belgrad Remembers“, in der sie das öffentliche Hängen von PartisanInnen im Zweiten Weltkrieg nachstellt. Der für das Gemeinwesen konstitutive Charakter des Partisanenkriegs gegen den Nationalsozialismus wird damit ebenso zurück in die Öffentlichkeit gezerrt, wie die Künstlerin am Laternenmast baumelnd für moralische Aufmerksamkeit plädiert. Diese Art der Verdeutlichung – Sichtbarmachen des Unsichtbaren – wirkt natürlich auch auf die Akteure zurück. Sie trägt zur Konstruktion von Identitäten bei. Damit kann sie einerseits als Waffe zur Durchsetzung von Repräsentationen benutzt werden. Andererseits aber legt sie auch fest, kategorisiert und rastert sie etwa diverse differente Praktiken als „Ostkunst“. „Die Sichtbarkeit“, schrieb einst Michel Foucault, „ist eine Falle.“

Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig. Bis 22. August