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Archiv-Artikel

„Der Künstler ist ein Dieb“

Nach „Unter dem Sand“ und „8 Frauen“ hat François Ozon einen neuen Film gedreht: „Swimming Pool“. Ein Gespräch mit dem französischen Regisseur über Phantasmen und Vampirismus, englische Krimiautorinnen und den Einfluss von Luis Buñuel

Interview KIRA TASZMAN

taz: Herr Ozon, in „Swimming Pool“ klaut eine Schriftstellerin ihre Ideen aus dem Tagebuch einer jungen Frau. Müssen gute Künstler Diebe sein?

François Ozon: Der Künstler ist per se ein Dieb und ein Vampir. Irgendwann muss er das Blut seines Buches suchen, im wörtlichen und übertragenen Sinne. Der Film ist eine Metapher von diesem Schaffensprozess. Wenn man etwas kreiert, wird man von allem beeinflusst, auch von einem Gespräch auf der Straße.

Nach der Krimikomödie „8 Frauen“ haben Sie wieder einen eigenwilligen Krimi gedreht. Mögen Sie klassische Krimis nicht?

Ich bin mir gar nicht sicher, ob „Swimming Pool“ ein Krimi ist. Zufällig handelt der Film von einer Krimiautorin, und deshalb gerät man in einen Krimi hinein. Aber 80 Prozent des Films sind kein Krimi. An einem bestimmten Punkt weiß man nicht mehr, ob man im Film ist, im Buch oder in der Fantasie. Wenn die Schriftstellerin Fotoromane geschrieben hätte, wären wir in einem Fotoroman gelandet.

Mögen Sie die Bücher von den englischen Krimiautorinnen, wie Charlotte Rampling sie im Film darstellt?

Ich mag diese englischen Krimiautorinnen selbst, diesen Kontrast zwischen dem Werk und der äußeren Erscheinung. Das ist eine sehr britische Tradition. Französische Schriftstellerinnen wie Marguerite Duras oder Françoise Sagan schreiben anders: über Gefühle. Deshalb mag ich diese sehr britische Art, sehr anständig und vornehm zu erscheinen und dann über ziemlich perverse Dinge zu schreiben. Ich habe das als eine Art Selbstporträt konzipiert, indem ich mich selbst in diese älteren englischen Damen hineinprojiziert habe.

Das ist ein erstaunlicher Vergleich.

Das ist nicht sehr offensichtlich. Aber mir ist oft passiert, dass Leute mir gesagt haben, mein Äußeres unterscheide sich sehr von meinen Filmen. Bei den Krimis denkt man auch nicht, dass sie von einer netten älteren Dame geschrieben wurden. Das spielt in den Film herein, denn der erste Satz, den Charlotte Rampling im Film sagt, ist: „Ich bin nicht jene, für die Sie mich halten.“

Verstehen Sie Ihren Film als eine Art Remake von Jacques Derays „Der Swimming Pool“ („La piscine“) mit Romy Schneider und Alain Delon?

„La Piscine“ habe ich erst gesehen, nachdem ich meinen Film gedreht habe. Natürlich haben mich alle gewarnt: Wenn du diesen Titel nimmst, wird man an den Film von Jacques Deray denken! Da habe ich mir gesagt: Es ist wohl besser, wenn ich ihn nicht sehe. Ich wusste nur, dass es dort einen Mord im Swimmingpool gibt. Bei mir passiert zwar alles Mögliche im Swimmingpool, aber kein Mord.

Ich dachte, Sie hätten sich für den Look von Ludivine Sagnier von Romy Schneider in „Der Swimming Pool“ inspirieren lassen.

Nein, überhaupt nicht. Romy spielte ja eine richtige Frau, kein aufreizendes Mädchen. Ludivine erinnert vom Look und vom Naturell her eher an Brigitte Bardot durch ihre Ungezwungenheit, ihre Nacktheit. Im Gegensatz zu ihrer Rolle in „8 Frauen“, wo sie eher eine Art verhinderter Junge war, wollte ich sie hier sehr sexy und weiblich zeigen. Das scheint funktioniert zu haben, wenn man die Reaktion des männlichen Publikums sieht.

In „Swimming Pool“ führen Sie Ihre Lieblingsschauspielerinnen Charlotte Rampling und Ludivine Sagnier zum ersten Mal vor der Kamera zusammen. Von wem der beiden ist die Inspiration für den Film ausgegangen?

Von mir selbst. Ich wollte meine Art zu arbeiten darstellen und fand, dass Charlotte Rampling, mit der ich eng befreundet bin, als meine Doppelgängerin ideal wäre. Aber ich musste wissen, ob sie überhaupt bereit wäre, eine ältere, etwas boshafte, nicht gerade sexy gekleidete Engländerin zu spielen und sich die Haare abzuschneiden. Nachdem sie eingewilligt hatte, kam ich für ihre Gegenspielerin schnell auf Ludivine. Sie war ja in „8 Frauen“ ein wenig meine Doppelgängerin, weil sie die Fäden in der Hand hielt. Sie war die Regisseurin und manipulierte die ganze Geschichte. Diesmal sollte sie dem Blick meiner Doppelgängerin ausgesetzt sein.

Was für eine Beziehung haben Sie zu den beiden?

Charlotte bewundere ich sehr: die Frau und die Schauspielerin. Aber es ist auch eine Beziehung, in der viel Vertrauen und Komplizenschaft steckt. In gewisser Hinsicht ist ja mein Film „Unter dem Sand“ ihre Wiedergeburt im Kino gewesen. Ludivine gehört eher zu meiner Generation als Charlotte. Mit Ludivine kann ich eher sprechen, konnte sie aber auch mehr formen. Das war anfangs eher ein Pygmalion-Arbeitsverhältnis. Aber mittlerweile braucht sie mich nicht mehr. Ihr sind jetzt eigene Flügel gewachsen.

In Ihren Filmen gibt es wiederholt Anspielungen auf Buñuel. In „8 Frauen“ oder auch im neuen Film, wenn Sarah Morton der kleinwüchsigen Frau begegnet. Ist Buñuel einer Ihrer Meister?

Ja, er ist einer meiner Lieblingsregisseure. Es gibt noch eine andere Hommage an Buñuel in dem Film: Die Szene, wo Charlotte Rampling dem Gärtner ihre Brüste zeigt, ist eine Anspielung auf „Tristana“, wo sich Catherine Deneuve ebenfalls nackt vor dem Gärtner zeigt. Aber bei der Kleinwüchsigen ging es mir weniger um Buñuel. Ich habe das von dem Standpunkt einer Engländerin betrachtet, die in Frankreich in ein kleines Dorf kommt. Dort ist alles hübsch und adrett. Aber man sieht die Leute nicht. Weil „Swimming Pool“ ein Film über Phantasmen ist, wollte ich da mit der Idee spielen, dass sich hinter den Fassaden auch merkwürdige Gestalten oder Monster verbergen können.

Die Ausgangssituation von „Swimming Pool“ erinnert an Ihren mittellangen Spielfilm „Regarde la mer“, der auch das Duell von zwei Frauen darstellt.

Ein wenig. Aber meine Sichtweise ist etwas milder geworden seit „Regarde la mer“, der ein sehr grausamer und gewalttätiger Film über die Mutterschaft war. Vielleicht ist er die Hardcore- oder Trash-Version von „Swimming Pool“. Damals wollte ich eine bestimmte Gewalt ausdrücken, die hier aber von dem Konzept des Schaffensprozesses kanalisiert wird. Man könnte sich aber vorstellen, dass „Regarde la mer“ das Buch ist, das Sarah Morton schreibt.