: Für Seelsorger zählt jede Maus
Mit patentiertem Leben wollen sich Pfarrer Axel Becker und der Evangelische Stadtkirchenverband Köln nicht abfinden. Nach erfolgloser Beschwerde gegen die „Krebsmaus“ hoffen sie auf den EuGH
Von Tobias Haucke
Eine Maus ist ein kleiner Nager, der sich von Körnern und bisweilen Insekten ernährt. Sie lebt im Wald, auf der Wiese und im Haus, und für Axel Becker, Pfarrer im Ruhestand aus Bergisch Gladbach, ist sie „ein Teil der Schöpfung Gottes“. Für die forschende Pharmaindustrie ist die Maus ein Nagetier, das sich besonders gut zur Krebsforschung eignet. Mit dieser Realität findet der evangelische Pragmatiker Becker sich ab. Dass aber nun Patente für Mäuse beantragt werden, die für noch bessere Forschungsergebnisse gentechnisch verändert wurden, kann er nicht mit seinem Weltbild vereinbaren. „Ein Lebewesen darf nicht nach denselben Regeln wie eine Luftpumpe patentiert werden“, sagt er.
Vor kurzem gingen für den 66-Jährigen elf Jahre Rechtsstreit mit dem Europäischen Patentamt zu Ende. Anfang Juli hat eine Beschwerdekammer des Amtes seine Beschwerde gegen die Patentierung einer gentechnisch veränderten Maus abgelehnt. „Wir waren ein kleiner Haufen gegen dieses übermächtige Europäische Patentamt“, sagt Axel Becker.
„Wir“ – damit meint er den Evangelischen Stadtkirchenverband Köln, in dessen Auftrag er gegen die Brüsseler Behörde antrat, und fünf weitere Einspruchsparteien, hauptsächlich Tierschutzorganisationen. Die großen Kirchen waren nicht dabei. „Die Frage, wo die Grenze zwischen Lebewesen und Materie ist, wird in Deutschland viel zu wenig diskutiert“, sagt er.
Kirche gegen Bioindustrie
Dass die Kölner Evangelen sich trotzdem mit solchen Fragen auseinander setzen, hat eine lange Tradition. Mitte der 80er Jahre propagierte die Kölner Politik die Marschroute: neue Arbeitsplätze durch Ansiedlung von Bio- und Gentechnikindustrie. Für den Stadtkirchenverband warfen die Verheißungen der jungen Wissenschaften jedoch viele Fragen auf – ein Ausschuss für Sozialethik wurde ins Leben gerufen. „Nach einiger Zeit merkten wir, dass überall in der evangelischen Kirche punktuelle Diskussionen, Erklärungen und Denkschriften zu sozialethischen Themen auftauchten“, sagt Axel Becker. Um diese zu bündeln, schuf man in Köln die Arbeitsstelle für sozialethische Fragen der Bio- und Medizintechnologien (ANEG) – ein bundesweites Unikum in der evangelischen Kirche. Das Büro mit zwei Mitarbeitern organisierte Veranstaltungen auf Kreissynoden und knüpfte Kontakte zu anderen Initiativen wie Greenpeace.
Die Arbeitsstelle kam bei den Protestanten so gut an, dass sie später bei der Landeskirche in Düsseldorf angesiedelt wurde. Denn ANEG schaffte etwas, das im Pluralismus der evangelischen Kirche bisweilen hart erkämpft ist. „Wir haben verschiedene Strömungen gebündelt und daraus Anleitungen zum konkreten Handeln abgeleitet“, sagt Axel Becker.
Deswegen konnte die Arbeitsstelle auch prompt reagieren, als 1993 die US-Universität Harvard das Patent für die gentechnisch veränderte Maus beantragte. Die Maus war für die Tumorforschung besonders krebsanfällig gemacht worden. Die Patentzulassung sollte ein Präzedenzfall für Europa werden.
Genlobby setzt sich durch
Die Stadtkirche Köln und 16 weitere Einspruchsparteien, darunter verschiedene Tierschutzorganisationen und Greenpeace, legten Beschwerde ein. „Von diesem Patent hängt die Entscheidung ab, ob in Zukunft Manipulationen an Lebewesen zu kommerziellen Zwecken zugelassen werden oder nicht“, sagt Axel Becker. Das Beschwerdeverfahren wurde zum Kampf David gegen Goliath. Die Patentgegner traten gegen die Lobbyarbeit aller großen Firmen im Agrar- und Pharmabereich an. „Für die hängen von den Patenten Milliardengeschäfte ab“, so Axel Becker. 2001 wurde die Beschwerde vom EPA zum ersten Mal in Teilen abgelehnt, am 6. Juli dann endgültig. Pikant: Das Europäische Patentamt wird aus den Gebühren für die Patente finanziert, die es selber vergibt.
Axel Becker wartet jetzt auf die schriftliche Begründung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes. Aus der jahrelangen Auseinandersetzung zieht Becker das Resümee: „Das Europäische Patentamt kann die Frage, wo die Grenze zwischen Lebewesen und Materie ist, nicht ethisch beurteilen – höchstens zweckmäßig.“ In seinen Augen müssten andere Institutionen wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) über solche Grundsatzfragen entscheiden. Kommt es tatsächlich zu einer Verhandlung vor dem EuGH, wird der Evangelische Stadtkirchenverband Köln garantiert im Straßburger Gerichtssaal zu finden sein, und zwar als Kläger, vertreten durch Pfarrer Axel Becker.