: Ein Gehirnschlag ist nicht strafbar
Nach drei Jahren stellte Staatsanwalt Verfahren gegen Eppendorfer Herzchirurgen ein, der trotz Gehirnschlag am offenen Herzen operierte. Dass ärztliche Fehler zu medizinische Komplikationen führten, konnte nicht nachgewiesen werden
Von Marco Carini
Die Akten sind geschlossen – der Skandal bleibt, zumindest juristisch, folgenlos. Mehr als drei Jahre lang ermittelte die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen leitenden Herzchirurgen der Eppendorfer Universitätsklinik (UKE), Professor Doktor Friedhelm D., der 1998 nach einer schweren Hirnblutung wieder zum Skalpell griff. Obwohl Bewegungs- und Konzentrationsstörungen als Spätfolgen zurückblieben, hatte Friedhelm D. bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 noch an über 120 Herzoperationen teilgenommen. Zwei Patienten überlebten die Eingriffe nicht.
Die Tätigkeit des erkrankten Professors hatte im Juli 2001 zur Beurlaubung des Ärztlichen Direktors des UKE, Heinz-Peter Leichtweiß, durch die damalige Wissenschaftsenatorin Krista Sager (GAL) geführt, obwohl Leichtweiß bestritten hatte, von der Operationstätigkeit des gesundheitlich angeschlagenen Professors gewusst zu haben. Auch der kommissarische Leiter der Herzchirurgie, der die Operationstätigkeit seines erkrankten Kollegen billigte, war im selben Monat von seinen Aufgaben entbunden worden.
Seit Mitte 2001 hatte die Hamburger Staatsanwaltschaft in 24 Fällen ermittelt. Dutzende Zeugen wurden vernommen, international renommierte Gutachter zu Rate gezogen. Der Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Tötung habe sich aber in keinem Fall erhärten lassen, erklärte der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger gestern gegenüber der taz. Die letzte Ermittlungsakte sei deshalb jetzt geschlossen worden. Otmar Kury, Anwalt des Beschuldigten, sieht seinen Mandanten damit als „voll rehabilitiert“ an.
Bei den Ermittlungen war es ausschließlich darum gegangen, ob die folgenschweren Komplikationen, die während der von Friedhelm D. ausgeführten Operationen aufgetreten waren, durch Kunstfehler des Arztes verursacht worden sind. Einen solchen Zusammenhang aber verneinen die Gutachter-Expertisen.
So bestätigt der renommierte Gutachter etwa, dass es bei der Operation eines 14 Monate alten, schwer herzkranken Jungen, der seit der Operation schwerstbehindert ist, zu einem Fehler kam: Die Herz-Lungen-Maschine sei an die falsche, weil offensichtlich verstopfte Arterie angeschlossen worden. Doch laut Gutachten habe diese „fehlerhafte Auswahl“ nicht zu der späteren Sauerstoff-Unterversorgung des Gehirns geführt, die die Behinderung des Jungen auslöst hatte. Auch in allen anderen Fällen konnten die ärztlichen Gutachter keine handwerklichen Fehler als Grund für für die eingetretenen Schädigungen und Todesfälle nachweisen.
Ungeklärt blieb in dem Ermittlungsverfahren auch, wie viele der Eingriffe am offenen Herzen Friedhelm D. als Hauptoperateur durchführte und wann er im OP nur attestierte. Die Eppendorfer Operationsprotokolle gaben darüber – fast unvorstellbar – keinen sicheren Aufschluss. Dass Friedhelm D. trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen überhaupt das Skalpell führte, ist laut Bagger „strafrechtlich nicht relevant“.
„Nur wenn es deshalb zu medizinischen Fehlern kommt, haben wir die Möglichkeit einer Anklage“, betont Bagger. Der Jurist weiß: „Ein Gehirnschlag allein ist noch kein Straftatbestand.“