: „Opfernd Euer heißes Leben“
Mit einem öffentlichen Gelöbnis wird heute im Bendlerblock der Attentäter vom 20. Juli 1944 gedacht. Lange verkam der historische Ort zu einem Teil des Pflichtprogramms beim Berlinbesuch von Schulklassen. Und so viel gibt es hier nicht zu feiern
von FELIX LEE
So sieht er also aus der deutsche Held: Ein nackter Jüngling, der trotz zusammengebundener Hände mit erhobenem Haupt heroisch auf dem Sockel steht und in den unbelebten Innenhof des sterilen Gebäudekomplexes blickt. Wehrlos, dennoch irgendwie moralisch überlegen – das wollte der Bildhauer Richard Scheibe zum Ausdruck bringen, als er die Bronzefigur 1953 aufstellte. Davor eine Gedenktafel mit dem Text: „Ihr trugt die Schande nicht / Ihr wehrtet Euch / Ihr gabt das große ewig wache Zeichen der Umkehr / Opfernd Euer heißes Leben / Für Freiheit, Recht und Ehre.“ Die Figur und die Tafel – zusammen bilden sie das Ehrenmal des deutschen Widerstands. Und weil das Ehrenmal im Ostflügel des Bendlerblocks untergebracht ist, soll das massive Bauwerk selbst „in besonderem Maße Licht der deutschen Militärgeschichte symbolisieren“, so heißt es zumindest auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums.
Ursprünglich war der Bendlerblock nur ein 1938 errichteter Anbau. Der Name Bendler geht zurück auf den Ratsmaurermeister Johann Christian Bendler, der im 19. Jahrhundert in Berlin lebte. Heute wird auch der 1914 für das Reichsmarineamt errichtete Bau am Landwehrkanal dazu gezählt, in das nach dem Ersten Weltkrieg die Führung der damaligen Reichswehr einzog. Im Bendlerblock wurde die deutsche Flottenrüstung geplant, in der Weimarer Zeit suchte die Reichswehrführung dort ihre Rolle im demokratischen Staat. Vor allem war der Bendlerblock aber das Zentrum des Umsturzversuches gegen das nationalsozialistische Regime am 20. Juli 1944.
Wenn heute der Bundespräsident Horst Köhler zum 60. Jahrestag des Putschversuchs an Adolf Hitler den „Helden vom 20. Juli“ gedenkt, wird der ansonsten leer gefegte Ehrenhof mal ausnahmsweise bunt geschmückt sein, übersät nicht nur mit Blumenkränzen, an denen ebenso bunte Wimpel hängen, sondern auch mit den vielen farbigen Orden der Generäle und Offiziere, die an der grauen Uniform besonders ins Auge stechen.
Köhler wird zur Mittagsstunde genau an der Stelle eine schmückende Rede halten, wo Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit seinem Adjutanten Werder von Haeften und die Mitverschwörer Oberst Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und General Olbricht erschossen wurden. Und am späten Nachmittag wird der Bundespräsident dem Gelöbnis von 510 Bundeswehrrekruten auf dem Paradeplatz nebenan beiwohnen, die feierlich den Eid ablegen – eine Tradition, die die rot-grüne Regierung 1999 zum ersten Mal im Bendlerblock stattfinden ließ. Sie wollte ihr bis dahin eher verhaltenes Verhältnis zur Bundeswehr auf eine neue Grundlage und sie deswegen ganz bewusst in die Tradition dieser Helden stellen.
Erst seitdem rückt einmal im Jahr der im Kaiserreich errichtete Gebäudekomplex am Nordufer des Landwehrkanals in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung. Dabei befindet sich das ganze Jahr über im weit verzweigten zweiten Stock des Ostflügels eine sehenswerte Ausstellung. In dem Teil des massiven Gebäudes, in dem Stauffenberg den Umsturzversuch einst plante und leitete, ist Ende der 60er-Jahre ein Dokumentationszentrum entstanden, das den Anspruch hat, alle Facetten des deutschen Widerstands widerzuspiegeln.
Lange Zeit waren es vor allem Schulklassen, die das umfangreiche Angebot nutzten und in Scharen durchgeschleust wurden. Immerhin zeigen die Besucherzahlen, dass das Interesse an Widerstandsgeschichte deutlich zugenommen hat. Kamen Anfang der 90er-Jahre 40.000 Gäste im Jahr, sind es heute über 80.000. 60 Jahre nach dem 20. Juli 1944 ist die Ehrung der Hitler-Attentäter weitgehend „angekommen“, bilanziert Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte des Deutschen Widerstands.
Das war keineswegs immer so. Bis weit in den 60er-Jahren hatte es im bundesrepublikanischen Teil Deutschlands Zeiten gegeben, in denen die Hitler-Attentäter noch als Vaterlandsverräter beschimpft wurden – empfanden doch gerade in den Nachkriegsjahren viele Deutsche das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht als Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern als Niederlage. Zwar wurde der im Krieg zerstörte Block nach dem Krieg in seiner Originalform wieder errichtet, aber abgesehen vom Ehrenhof wollte man dem Gebäudekomplex anfangs keine besondere Bedeutung zugestehen. In den Fünfzigerjahren zogen vor allem untergeordnete Behörden ein.
Ausgerechnet die Wiederbewaffnung der damaligen Bundesrepublik brachte den Wandel. Die Befürworter der neuen Armee waren auf der Suche nach einer Legitimierung zum Griff zur Waffe. Und die fanden sie in den widerspenstigen Offizieren der deutschen Wehrmacht. Mit der Einführung der Bundeswehr waren die Hitler-Attentäter auf einen Schlag salonfähig – und damit auch der Bendlerblock.
Heute ist dieser Streit nicht mehr zentral. Angesichts der sich selbst übertreffenden Huldigungen, die dem 20. Juli 1944 von allen Seiten zuteil wird, stellt sich vielmehr wieder die Frage, ob denn tatsächlich den Richtigen am richtigen Ort gedacht wird.
Es sind nicht nur Antimilitaristen und Wehrpflichtgegner, die darauf hinweisen, dass die meisten der beteiligten Offiziere nicht nur konservativ bis ins Mark, sondern viele auch antidemokratisch waren und Hitlers Macht erst ermöglicht hatten. „Ohne Adel hätte es keinen 20. Juli 1944 gegeben – aber eben auch keinen 30. Januar 1933“, hat es der FU-Historiker Stephan Malinowski im Spiegel beschrieben. Die Verschwörer der ersten Stunden formierten sich nur sehr zögerlich. Einige revoltierten eher aus Unzufriedenheit, weil sie ihre Macht gefährdet sahen – nicht aus Empörung über den Holocaust. Stauffenberg nahm teil am Vernichtungskrieg im Osten.
All diese Argumente sind nicht neu, werden unter Historikern aber immer wieder debattiert. Die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, die seit Jahren den Protest gegen die öffentliche Rekrutenvereidigung am 20. Juli organisiert, weist darauf hin, dass es im Unterschied zu der Herrenriege vom 20. Juli deutsche Widerstandskämpfer gegeben hatte, „an deren Händen kein Blut klebt“: Deserteure und Kriegsdienstverweigerer. 30.000 sind vom NS-Regime zum Tode verurteilt, 20.000 hingerichtet worden. Die Kampagne will dieses Jahr der Deserteure gedenken. Nicht der Offiziere Hitlers, die allzu lange mitgemacht haben.