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Archiv-Artikel

Der Führer in Farbe

Gedenken an Stauffenberg rund um die Uhr: Das Fernsehen ist verliebt in alles, was mit Hitler, seinen Schergen und Feinden zu tun hat. Nicht ohne Folgen: Unser Geschichtsbild ist dabei, sich zu verändern

VON ROBIN ALEXANDER

Mit dem Nationalsozialismus ist es wie mit dem Fußball: Das Fernsehen kann nicht genug davon bekommen. Wer am Sonntag, gestern und heute alle Sendungen anschaut, die sich mit Deutschlands dunklen Jahren beschäftigen, hat gut zu tun: Von „Carl Wentzel-Teutschenthal – Ein deutsches Schicksal“ (Sonntag MDR) über „Netzwerk – Adam von Trott zu Solz und der 20. Juli 1944“ (Montag, BR) bis „Botho Henning Elster – Ein deutscher Held“ (Dienstag, HR) kann der Zuschauer aus 16 Beiträgen auswählen – an nur drei Abenden.

Quotentechnisch gesehen ist der deutsche Widerstand eine Europameisterschaft und der 60. Jahrestag des 20. Juli 1944 das Finale: Dummerweise konnte man sich nicht über die Rechte einigen, und so haben ARD und ZDF konkurrierende Stauffenberg-Großprojekte in Auftrag gegeben. Auch die Spartenkanäle versuchen, sich gegenseitig zu übertreffen: Arte zeigte gestern den Spielfilm „Stauffenberg“ und das frische Dokudrama „Die Stunde der Offiziere“ hintereinander, beim SWR gibt es heute mit dem Spielfilm und drei Folgen „Offiziere gegen Hitler“ fünf Stunden Widerstand am Stück.

Nun muss man in Sachen Vergangenheitsbewältigung mit Kritik am Fernsehen vorsichtig sein. Denn das Medium hat sich gewissermaßen Verdienste erworben. Nicht – wie oft und falsch behauptet – die 68er entrissen die Judenvernichtung der allgemeinen Verdrängung durch die Deutschen, sondern die US-amerikanische Fernsehserie „Holocaust“ im Jahr 1979.

Was Fernsehen mit seinen Stoffen macht (Personalisierung, Dramatisierung, Emotionalisierung), galt natürlich schon immer auch für Dokus und Fernsehspiele über die NS-Zeit. Aber in den vergangenen zehn Jahren ist das TV-Erinnern industrialisiert worden: Ganze Jahrgänge wurden im Oral-History-Stil einvernommen, die Beiträge werden quotenträchtig formatisiert, und die Anzahl der Sendungen hat sich explosionsartig vermehrt. Aus Geschichte wurde „History“: Das hat Folgen.

Weniger für Menschen, die schon ein solides Geschichtsbild haben. Wer über die Strukturen des NS-Regimes Bescheid weiß, für den sind die wieder und wieder gezeigten Bilder vom lächelnden Hitler am Obersalzberg nur eine Illustration. Etwas ganz anderes aber bedeuten diese Bilder für Menschen, deren Geschichtsbild sich erst formt.

In der ersten Nachkriegsgeneration konkurrierte Vaters Bericht mit dem Schulbuch. In der nächsten Generation verlor Opa gegen das institutionell vermittelte historische Wissen, weil Mutter, Vater und die Medien seine Einschätzung anzweifelten. Heute holt History TV den Uropa als Zeugen zurück: Über die Zeitzeugeninterviews spricht er direkt mit dem Enkel.

Bevor ein Kind zum ersten Mal in der Schule mit dem Nationalsozialismus konfrontiert wird, hat es heute via Fernsehen und nachgelagerte Medien bereits ein Bild davon vermittelt bekommen. Ein ganz bestimmtes: Die Dramatisierung des Stoffes – notfalls mit nachgespielten Szenen – zwingt zu einem akteurzentrierten Erzählstil: Jeder einzelne der 20.-Juli-Verschwörer erhält seinen eigenen Film, noch die Kinder und Kindeskinder werden porträtiert, und in Tageszeitungen schreiben die Nichten über das Leben der Witwen: überall nur individuelle Schicksale und einsame Gewissensentscheidungen, nur am Rande Strukturen und Zusammenhänge. Personenkult gibt es auch auf der Täterseite: Nicht nur Hitler, sondern auch jeder seiner Satrapen und Hofschranzen ist längst mit einem eigenen Fernsehfilm bedacht. Selbst „Die Frauen der Nazis“ bekommen eine eigene Film- und Buchreihe, obwohl die Biografien von Magda Goebbels und Emmy Göring für das Verstehen der NS-Zeit durchaus entbehrlich sind. Aber auch seriöse Beiträge in diesem Genre stehen – wenn es so dominiert – der Erkenntnis im Weg: Ursachen, Bedingungen und Ablauf der Judenvernichtung erklären sich eben weder durch die Person Himmlers noch durch eine plastische Schilderung der Atmosphäre der Wannseekonferenz.

Immer noch produziert die Forschung neue Erkenntnisse über die Nazi-Zeit: Etwa wie stark die Sozialsysteme des Reichs von der Enteignung der Juden profitierten. Als Sensation verkauft werden jedoch neu aufgefundene Farbfilme von Hitler.

Schließlich verzerrt die schiere Masse der Beiträge zum Nationalsozialismus das Geschichtsbild: „Es gab doch nicht nur die zwölf Jahre“, war früher ein Argument der Relativierer. Wenn sich der Nationalsozialismus im öffentlichen Bewusstsein aber tatsächlich nicht nur vor die DDR und die junge Bundesrepublik schiebt, sondern auch vor Weimar, den Ersten Weltkrieg und die Kaiserzeit, ist dies schon ein Problem. In der fernsehvermittelten Geschichte scheint eine Figur wie Rudolf Heß irrtümlich wichtiger als Franz von Papen oder Heinrich Brüning. Die Beweggründe von Stauffenberg wirken folgenreicher als die Motive der Führung der demokratischen Parteien vor 1933. So droht das grenzenlos detailverliebte Porträt des Nationalsozialismus den Blick auf seine Ursachen zu verstellen.