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Archiv-Artikel

Es war Mord

AUS HAMBURG KAI VON APPEN

Beifall von Zuschauerinnen bei der Urteilsverkündung auf der einen, Tränen, Wutausbrüche und Nervenzusammenbrüche sowie eine Attacke auf eine Mahnwache der Frauenrechtsorganisation Terres des Femmes durch Angehörige auf der anderen Seite – so fielen die Reaktionen aus, als das Landgericht Hamburg das Urteil „lebenslänglich“ über Ahmad-Sobair Obeidi verkündete.

Der 24-Jährige habe seine Schwester Morsal aus niedrigen Beweggründen getötet und sei dabei heimtückisch vorgegangen, befand das Gericht. „Er tötete aus reiner Intoleranz“, sagte der Vorsitzende Richter. Es gebe „nicht die geringsten Zweifel“ daran, dass Ahmad seine 16-jährige Schwester am 15. Mai vorigen Jahres von einem Cousin auf einen Parkplatz locken ließ, um sie wegen ihres westlichen Lebensstils mit direktem Tötungsvorsatz umzubringen. „Morsals Unglück war, dass sie eine Frau war.“ Damit wich das Gericht von der Einschätzung der psychiatrischen Gutachterin Marianne Röhl ab, die eine „Affekttat“ konstatiert und verminderte Schuldfähigkeit zugestanden hatte. Weil Morsal auf die Frage, ob sie als Prostituierte arbeite, sagte: „Das geht dich einen Scheißdreck an“, habe Obeidi einen „explosionsartigen Zusammenbruch“ erlitten.

Auch das Gericht ging davon aus, dass Obeidi an einer „narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ leide, befand aber, dass es keine Anzeichen für eingeschränkte Steuerungsfähigkeit bei ihm gebe. „Er tötete seine Schwester, weil alle Versuche, ihr die afghanischen Wertvorstellungen anzuerziehen, misslungen waren“, so der Richter. „Morsal wollte nicht nach den strengen Regeln afghanischer Traditionen leben, sondern wie ein deutsches Mädchen.“

Vorausgegangen sei dem Mord ein jahrelanges Martyrium. Obwohl die Obeidis schon lange in Deutschland lebten, seien sie noch in den „Werten und Normen ihres Heimatlandes gefangen“, die die Ehre als „hohes Gut“ erachteten.

Morsal, die ihre Mitschülerinnen als selbstbewusst, durchsetzungsfähig und fröhlich beschreiben, passte sich diesen Normen nicht an. Deshalb sei es ständig wegen „zu knapper Kleidung, Umgang mit dem anderen Geschlecht oder Schminken“ zum Streit mit Vater und Bruder gekommen. 2007 sei Morsal sogar unter dem Vorwand, die Familie wolle Urlaub machen, nach Afghanistan verschleppt worden, so der Richter, „um ihr zu zeigen, wie man sich als Frau richtig zu verhalten hat“. Obwohl sie dort wie ein Tier gehalten worden sei, „hat sie das nicht dazu gebracht, sich zu beugen“.

Bereits am Nachmittag des Tattages habe Ahmad Obeidi den Entschluss gefasst, die „Ehre der Familie“ durch den Mord wiederherzustellen. „Die bisherigen Maßnahmen, Morsal mit Gewalt zu disziplinieren, waren gescheitert.“ Dabei sei er geplant vorgegangen. Im Beisein des Cousins habe er zunächst ein Gespräch vorgetäuscht, um eine Flucht Morsals zu verhindern. Dann habe er plötzlich zugestochen. Da Morsal kurz flüchten konnte, habe er ihr nachgesetzt, sie zu Boden gerissen. „Dann setzte er sich auf sie und vollendete das Blutbad von 23 Messerstichen.“ Dass es keine Affekttat gewesen sei, sieht das Gericht auch durch den Umstand belegt, dass er nach der Tat einem Taxifahrer gestand: „Ich hoffe, dass sie tot ist, sie gehört nicht mehr zur Familie.“ Auch wenn es keine Beweise dafür gebe, dass der Vater Ahmad beauftragt habe, sah der Richter „eine hohe moralische Mitschuld“ der Eltern.

Die Staatsanwaltschaft zeigte sich mit dem Urteil zufrieden: „Das Gericht ist unserer Auffassung in vollem Umfang gefolgt.“ Obeidis Verteidiger kündigten indes Revision an. Der Gutachterin zu folgen und sich zugleich aber auf eigene Sachkunde zu berufen, ergebe „keinen Sinn“ und sei „rechtsfehlerhaft“.

Der Angeklagte verlor im Gerichtssaal die Fassung. „Was ist eine Ehre, was ist das?“, rief er. Bei einem Prozess in Kabul wäre er „längst draußen“. Den Staatsanwalt beschimpfte er als „Hurensohn“. Die Mutter des Angeklagten schien sich vor dem Saal aus einem Fenster stürzen zu wollen, wurde aber zurückgehalten.