: Hart wie Schily – weich wie Roth
Rot-Grün rudert zurück: Das Drama der „Cap Anamur“ könnte sonst ein Kommunikationsdesaster werden – man kann nicht gleichzeitig für die Rettungsaktion sein und dagegen
BERLIN taz ■ Bloß kein falsches Wort mehr. Je länger die Auseinandersetzung um das Vorgehen der „Cap Anamur“ bei ihrer umstrittenen Rettungsaktion im Mittelmeer dauert, desto leiser werden die Politiker der rot-grünen Koalition. Für eine abschließende Bewertung sei es noch zu früh, erklärten gestern Regierungssprecher Hans-Hermann Langguth und Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. So unverfänglich diese Äußerungen klingen: Sie sind ein Appell zur Zurückhaltung an die eigenen Reihen.
Er könne seinen Leuten nur raten, mit öffentlichen Stellungnahmen vorsichtig zu sein, sagte ein Insider aus dem Regierungslager der taz. Kein Wunder: Das Drama um die afrikanischen Flüchtlinge und ihre Helfer drohte auch zu einem Kommunikationsdesaster für Rot-Grün zu werden. Denn es waren ja nicht nur die teilweise widersprüchlichen Berichte und Verlautbarungen aktiver und früherer „Cap Anamur“-Vertreter, die in den letzten Tagen für Verwirrung sorgten. Die Regierung zeigte sich einerseits knallhart und „Cap Anamur“-kritisch (in Person von Innenminister Otto Schily und dessen Sprecher). Andererseits lieferte dieselbe Regierung die Empörung über diese Haltung gleich mit (in Person der Menschenrechtsbeauftragten Claudia Roth und anderer Grünen). Während Schily die Asylgesuche der afrikanischen Flüchtlinge kategorisch ablehnte und die „Selbstdarstellung“ der Flüchtlingshelfer kritisierte, warf Roth den europäischen Innenministern, also auch Schily, zynischen Umgang mit Flüchtlingen vor. Grünen-Parteichefin Angelika Beer und Fraktionsvize Christian Ströbele forderten zwischenzeitlich gar, den Schiffbrüchigen in Deutschland Asyl zu gewähren.
Zu diesen Äußerungen seiner Parteifreunde von letzter Woche ging Beers Chefkollege Bütikofer gestern vorsichtig auf Distanz. Auf die Frage, ob der Einsatz der Grünen für die Cap Anamur im Nachhinein richtig gewesen sei, sagte er, es sei „absolut richtig gewesen“, dass sich die Grünen für die Freilassung der Cap-Anamur-Mitglieder eingesetzt hätten. Punkt. Die grüne Kritik an Schily und die Plädoyers für die bereitwillige Aufnahme von Flüchtlingen durch Deutschland erwähnte Bütikofer nicht.
Trotz aller Bemühungen um Ruhe und Eintracht droht jedoch ein neuer Konflikt – wegen der angeblich geplanten Verschrottung der „Cap Anamur“ in Italien. Während Bütikofer von Rom forderte, das Schiff freizugeben, „damit die Hilfsorganisation ihre Arbeit fortsetzen kann“, kritisierte Schilys Sprecher genau diese Arbeit. „Cap Anamur fördert bei Afrikanern die Illusion, sie kämen über das Meer sicher nach Europa.“
LUKAS WALLRAFF