: Angemessene Umzugskisten
Arbeitslose könnten ab nächstem Jahr dazu aufgefordert werden, sich neue Wohnungen zu suchen. Dadurch werden sich langfristig auch Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt einstellen
VON HOLGER PAULER
Die Umsetzung der Hartz-IV Reformen wird auch den Wohnungsmarkt an Rhein und Ruhr verändern. Ab dem ersten Januar 2005 müssen Empfänger des aus Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengefassten Arbeitslosengeld II (ALG II) damit rechnen, ihre Wohnungen zu wechseln, da die zuständigen Agenturen für Arbeit nur noch die Kosten übernehmen, die sie als „angemessen“ betrachten. Bei zu hohen Mieten, müssten sich die Betroffenen innerhalb von sechs Monaten eine „angemessene“ Bleibe besorgen. Andererseits droht die Kürzungen der Zuschüsse. Allein im Ruhrgebiet werden vermutlich über 150.000 Arbeitslose zu ALG-II-Empfängern.
„Die Entwicklungen werden regional unterschiedlich verlaufen“, sagt Thomas Rommelspacher, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag. Im Rheinland herrsche gerade in dem unteren Kosten-Bereich Wohnungsnot. „Die Agenturen werden zwar den Druck auf die ALG-II-Bezieher aufrecht erhalten, können aber keine Alternativen bieten.“ Anders sieht es im Ruhrgebiet und in den bergischen Kreisen aus. Dort stehen etliche Wohnungen im unteren Kosten-Bereich leer. „Wir müssen hier mit einer großen Fluktuation rechnen“, so Rommelspacher. Langfristig werde der Wohnungsmarkt „auf den Kopf“ gestellt. „Wir werden vor allem Leerstände im Mittelsegment bekommen“, befürchtet Rommelspacher. Landesbauminister Michael Vesper (Grüne) rechnet dagegen mit kaum Bewegung auf dem Wohnungsmarkt. „Arbeitslose wohnen ja nicht in Villen, sondern schon jetzt in günstigen Wohnungen.“
Die Wohnungsgesellschaften reagieren zurückhaltend. „Wir können noch keine endgültige Einschätzung geben. Zumal die Übernahme der Wohn- und Heizkosten durch die Sozialämter noch geändert werden kann“, sagt Christine Mattauch, Sprecherin der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) NRW. Die LEG besitzt landesweit 110.000 Wohnungen. „In Folge von ALG-II könnte es zu Umzügen kommen“, sagt Mattauch, „andererseits könnten wir davon auch profitieren, da die LEG auch Wohnungen im unteren Kosten-Bereich besitzt.“ Die RAG-Immobilien GmbH, mit landesweit 70.000 Wohnungen drittgrößte Wohnungsgesellschaft rechnet nur mit marginalen Verschiebungen. „Ein Großteil unserer Wohnungen ist traditionell im unteren Marktsegment angesiedelt“, sagt Firmen-Sprecher Lothar Schulz.
Wie Kreis und Kommunen letztendlich mit der Berechnung der „Angemessenheit der Wohnkosten“ umgehen, ist unklar. „Die Städte und Kreise müssen die Bemessungsgrundlagen endlich definieren“, sagt Knut Unger vom MieterInnenverein Witten. Landrat und Kreisdirektior im Ennepe-Ruhr-Kreis wollen kommunale Gremien am Entscheidungsprozess nicht beteiligen. Die Festsetzung der angemessenen Wohnkosten sei ein Geschäft der laufenden Verwaltung und in diesem Rahmen eine Ermessensfrage, so deren Aussage. Ein anderes Beispiel: Im Kreis Recklinghausen beispielweise stehen alle zehn Städte wegen der hohen Verschuldung unter Nothaushaltsrecht. 20 Prozent der so genannten Bedarfsgemeinschaften liegen mit ihrer Miete über der Bemessungsgrundlage. Der Kreis hat in diesem Bereich ein Sparpotenzial von 10 Millionen Euro ausgemacht. „Die Bezirksregierung wird die verschuldeten Kommunen dazu anhalten, dieses Potenzial auszuschöpfen“, sagt Thomas Rommelspacher. Etliche ALG-II Empfänger im Kreis könnten ihre Wohnungen verlieren.