piwik no script img

Archiv-Artikel

Spiritueller Gewürzmörser

Der Guru und sieben Jüngerinnen einer Berliner Sekte stehen vor Gericht. Sie sollen ein Mitglied stundenlang misshandelt haben – unter anderem mit einem Telefonhörer

Spitualität kann verdammt weh tun. Vor allem dann, wenn sie mit Telefonhörern und Gewürzmörsern eingebläut wird. Deshalb müssen sich der 40-jährige Ramin H. alias Guru Lila Suka Dasa sowie sieben junge Frauen zwischen 20 und 30 Jahren seit gestern vor dem Berliner Landgericht verantworten. Sie gehören der „Spirituellen Lebensgemeinschaft Aum“ an. Mit der Sekte, die 1995 den Sarin-Anschlag auf die Tokioter U-Bahn verübt hat, haben sie nichts zu tun, möglicherweise aber mit gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung – denn das wird ihnen vorgeworfen.

In der Nacht vom 25. auf den 26. Februar sollen sie während einer spirituellen Sitzung in einer WG in Prenzlauer Berg in Streit geraten sein und in dessen Verlauf die 30-jährige Sängerin Diane S. über Stunden geschlagen und misshandelt haben – wobei auch ein Telefonhörer und ein Gewürzmörser zum Einsatz gekommen sein sollen.

Laut Diane S., die gestern ihre Aussage gemacht hat, war es zum Streit gekommen, als man diskutierte, wer die meiste Unterstützung benötige. Diane S., die nicht nur allein erziehende Mutter ist, sondern auch ein Musikprojekt organisieren sollte, sah sich ganz oben auf der Liste. Andere gaben ihr Recht.

Der Guru nicht. Gegen Mitternacht schlug er ihr drei Mal mit dem Telefonhörer auf den Kopf. Der Hörer zerbrach. Als sie schützend ihre Hände über den Kopf hielt, habe Ramin H. geschrien, sie solle sie runternehmen, sonst breche er ihr die Finger. Dann forderte er die anderen jungen Frauen auf, mitzumachen. Die hätten daraufhin abwechselnd zugeschlagen und getreten, sie gekratzt, an den Haaren gezerrt und gerufen, sie solle endlich reden. Nur was, das habe sie nicht gewusst.

Ramin H. habe sie dann an den Haaren durch das Zimmer geschleudert und gerufen: „Hin und her, so gehst du mit den Menschen um. Jetzt weißt du, wie sich das anfühlt.“ Er forderte einen Knüppel und bekam einen Kochlöffel und einen Gewürzmörser. Diane S. lag bäuchlings auf dem Boden, zwei Angeklagte fixierten ihre Handgelenke fest, die anderen schlugen zu – am stärksten Ramin H.

Nach vier oder fünf Stunden sei sie in Ohnmacht gefallen. Erst am nächsten Tag habe sie sich auf den Heimweg getraut – mit multiplen Prellungen, vier Rippenbrüchen und einem handfesten Schleudertrauma. Die Angst, die spüre sie noch heute.

Da der Tatvorwurf in erster Linie auf den Angaben von Diane S. basiert, bleibt fraglich, ob er den Angeklagten nachgewiesen werden kann. Sie wollten gestern noch keine Aussagen machen. Guru Ramin H., der seit Anfang April in Untersuchungshaft sitzt, hat im Rahmen des Ermittlungsverfahrens lediglich eingeräumt, dass es in jener Nacht zu einer „Konfrontation“ gekommen sei.

Nach Auskunft von Professor Ulrich Dehn von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen ist die Gruppe bislang vor allem durch ihren schillernden Guru aufgefallen. Die Enge der Gemeinschaft führe „sehr schnell in sexuelle Beziehungen und sogar sexuelle Abhängigkeit“ zu ihm, so Dehn. Durch tätliche Gewalt sei die Aum-Sekte noch nicht aufgefallen.

Der Name Aum, auch Om genannt, sei in den fernöstlichen Religionen ein sehr weit gefasster Begriff, der „das Umfassende“, „die Ganzheit“ meine. Die Suche nach der umfassenden Wahrheit wird am kommenden Dienstag fortgesetzt.

JAN ROSENKRANZ