: Bertelsmann ist Bertelsmix
Globale Musikkonzerne haben den Reiz der Regionalisierung erkannt und damit eine Renaissance lokaler Popkultur befördert. Eine Rundfunkquote für inländische Produktionen ist daher überflüssig
von DANIEL BAX
Egal, wohin man auf der Welt auch reist: Es kommt immer häufiger vor, dass einen Déjà-vu-Gefühle beschleichen, wenn man in seinem Hotelzimmer den Fernseher einschaltet. Ob man nun in Südasien auf die indische Variante der Quizshow „Wer wird Millionär?“ stößt, bei der Kandidaten im Rampenlicht zu kniffligen Fragen schwitzen, oder im spanischen Kabelfernsehen von Miami in die lateinamerikanische Variante der Flirtsendung „Herzblatt“ hineinzappt, bei der ein Kandidat hinter einem Paravent durch gezielte Fragen an drei Teilnehmer des anderen Geschlechts, die er nicht sehen kann, sich seinen persönlichen Liebling herauspicken muss – immer häufiger erkennt man Fremdes im vertrauten Rahmen wieder. Wer vor zwei Jahren in Spanien war, der konnte mit „Operación Triunfo“ bereits die Blaupause jener Show – samt zugehöriger Hysterie – miterleben, die als „Deutschland sucht den Superstar“ hierzulande hohe Wellen schlug und inzwischen auch längst Ableger in der arabischen Welt gefunden hat. Wer derzeit wiederum in Afrika unterwegs ist, kommt nicht um die erste afrikanische „Big Brother“-Staffel herum, die – von einem Satellitensender in Südafrika produziert – derzeit auf diesem Kontinent Furore macht. Hoffentlich fangen demnächst die Kandidaten nicht auch noch an, Platten einzusingen.
Die Welt wird sich immer ähnlicher. In gewisser Weise sind damit die Schreckensvisionen jener Stimmen wahr geworden, die in den Siebzigerjahren vor US-amerikanischem „Kulturimperialismus“ warnten. Doch was sich weltweit angeglichen hat, sind nur die Formate solcher TV-Sendungen. Die Inhalte dagegen sind austauschbar – und werden lokal produziert. Denn erst der lokale Bezug einer Sendung garantiert heute jene affektive Bindung eines Publikums, die ein TV-Programm in einem örtlichen Markt erfolgreich macht, das haben auch die global agierenden Unterhaltungskonzerne wie Time Warner oder Bertelsmann verstanden. Deswegen sind auch jene Befürchtungen nicht eingetreten, die da lauteten, die globale Kulturindustrie würde lokalen Kulturen den Garaus machen. In Wirklichkeit gehen beide ständig neue Symbiosen ein. So stricken heute global agierende Medienkonzerne an den ausschließlich lokalen Karrieren von „Superstars“ wie Sarah Connor, der deutschen Antwort auf Jennifer Lopez, oder Daniel Küblböck mit. „Glokalisierung“ nennt die Wissenschaft denn auch dieses Spiegelphänomen, das dieses Paradox der kulturellen Globalisierung beschreibt.
Talkshows, Soapoperas, Late-Night-Shows und Reality-TV – nur noch die englischen Namen deuten darauf hin, dass die Formate dieser Sendungen einst in den USA entwickelt wurden. Das Personal aber wird heute lokal gecastet, und die Stars sind deshalb bestenfalls im eigenen Land weltberühmt. Oder kennt irgendjemand in den USA oder im europäischen Ausland die Serie „Marienhof“, Zlatko oder Harald Schmidt?
Die Renaissance des Lokalen geht so mit der Globalisierung der Popkultur Hand in Hand. Vor zwanzig Jahren war es das amerikanische MTV, das sich als Synonym für videoclipbetriebenes Musikfernsehen etablierte. Heute hat der Sender überall auf der Welt regionale Epigonen gefunden, die ihm – wie Viva in Deutschland – mancherorts sogar den Rang ablaufen. Auf dessen Herausforderung musste die Mutter aller Clipkanäle bald mit deutschsprachigen MTV-Moderatoren antworten, um hierzulande nicht völlig aus dem Rennen zu fliegen. Und so erging es ihr auch anderswo. Gerade eben ist in Israel ein neuer Musikkanal auf Sendung gegangen, der ausschließlich einheimische Künstler zeigen und damit in Konkurrenz zu MTV treten will.
Nicht zuletzt Viva, eine Gründung der großen Schallplattenkonzerne übrigens, hat dafür gesorgt, dass die deutsche Sprache hierzulande wieder popfähig geworden ist. Und das nicht nur durch seine Moderatoren, sondern auch mit seinen Videoclips. Viva hat den Boom deutschsprachiger Bands befördert, im HipHop wie im Indie-Rock, und dieser Boom hält an. Derzeit wird eingedeutschter Reggae als das nächste große Branchending gehandelt. Der Anteil inländischer Produktionen in den deutschen Charts liegt nicht zuletzt dank Viva schon seit einigen Jahren konstant bei 40 Prozent. Die sind zwar beileibe nicht alle deutsch gesungen – gebrochenes Schulenglisch reicht auch, wie Modern Talking, Sarah Connor und zuletzt Yvonne Catterfield bewiesen haben –, aber doch zu einem großen Teil. Und manches, gar nicht so wenig davon, wird sogar im Radio gespielt.
Warum nun ausgerechnet jetzt, wo deutsche und deutschsprachige Popmusik so gut dasteht wie vielleicht noch nie in ihrer Geschichte, warum ausgerechnet jetzt der Ruf nach einer Quote für diese Musik laut wird, die ihr eine konkurrenzfreien Nische im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einräumen soll, das lässt sich nur aus der anhaltend tiefen Krise der Musikindustrie heraus erklären. Da scheint offenbar jedes Mittel recht, noch die letzten Möglichkeiten auszuschöpfen, die geringer werdenden Erträge aufzubessern.
Anders als vor vier Jahren, als die Diskussion um Quoten zum ersten Mal hochkochte, sind die großen Plattenfirmen heute mehrheitlich dafür. Damals hatte der Sänger Heinz Rudolf Kunze sich für die Quote stark gemacht und war dafür in der Presse ordentlich abgewatscht worden. Wer immer ihn damals schlecht beraten hatte, der ließ ihn auch noch allein im Regen stehen, als die Nationalismusvorwürfe auf ihn einprasselten.
Seine Argumente waren allerdings exakt die gleichen, die heute wieder vorgebracht werden. Nur, dass sie diesmal von anderer Seite kommen, von einer illustren Koalition: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat sich für die Quote ausgesprochen, der CSU-Politiker Erwin Huber arbeitet in Bayern daran. Universal-Chef Tim Renner hat sich in der taz dazu bekannt und Julian Nida-Rümelin, der ehemalige Kulturstaatsminister, in der SZ. Selbst der Verein für deutsche Sprache hat sich unterstützend zu Wort gemeldet.
Für die alte Garde des deutschen Musikjournalismus, die noch komplett mit angloamerikanischem Rock sozialisiert wurde, ist das eine Koalition des Grauens und eine solche Quote die reine Horrorvorstellung. Von Wolfgang Doebeling im Rolling Stone oder Karl Bruckmaier in der SZ steht die Ablehnungsfront, wenn das Wörtchen Quote fällt. Sie alle haben mit lokaler Popkultur wenig am Schlapphut: Für sie grenzt es schon an ein Sakrileg, Bob Dylan oder Lou Reed mit deutschen Musikern auch nur in einem Atemzug zu nennen.
Jüngere Schreiber, die sich am Hamburger Diskursrock oder schwäbischem HipHop abgearbeitet haben, sind da möglicherweise weit weniger kategorisch: Sie schreckt allenfalls der latente Nationalismus, der hinter protektionistischen Forderungen nach kulturellem Artenschutz steckt. Solchen Ängsten versucht Tim Renner mit dem ökologischen Argument der bedrohten Vielfalt zu begegnen. Der deutsche Chef des Unterhaltungskonzerns Universal Music möchte die Quote vor allem für Neuheiten und nur zur Hälfte für deutschsprachige Produktionen verwendet wissen. In die gleiche Kerbe schlägt Julian Nida-Rümelin, wenn er in der SZ behauptet, „wir“ würden nicht nur „immer weniger deutsche, sondern auch immer weniger spanische, französische und italienische Musik“ hören, und damit die Notwendigkeit einer Rundfunkquote für bedrohtes Liedgut begründet. Das ist blanker Unsinn und wirft viel mehr die Frage auf: In welcher Welt lebt der Mann eigentlich?
Denn wer das aktuelle Popgeschehen mit ein bisschen Aufmerksamkeit verfolgt, wird feststellen, dass das Gegenteil der Fall ist. Sieht man mal von der Flut an geklont wirkenden Retortenstars ab, die derzeit durch diverse Castingshows in die Charts gespült werden, zeigt sich die Popszenerie vielfältig wie schon lange nicht mehr. Eines der erfolgreichsten Stücke der vergangenen Saison war der indische Monsterhit „Mundian To Bach Key“ von Panjabi MC, der auf einem regionalen Rhythmus aus dem Pandschab fußte – ganz schön exotisch eigentlich. Die US-Band Calexico, eine der erfolgreichsten Independentformationen der letzten Jahre, mischt ihren staubtrockenen Wüstenrock mit mexikanischer Folklore auf und kann gar nicht mehr damit aufhören, durch deutsche Lande zu touren. Der anhaltende Weltmusikboom hat nicht nur allerhand traditionelle Stile wieder salonfähig gemacht, vom Fado bis zum kubanischen Son, sondern auch neue Genres wie den polyglotten Globetrotterpop eines Manu Chao hervorgebracht. Seit Wochen schon okkupiert ein dänisches Multikultitrio namens Outlandish mit ihrem Song „Aicha“, einer Ode an ein arabisches Mädchen, den ersten Platz der deutschen Charts. Und den Grand-Prix-Wettbewerb konnte die türkische Sängerin Sertab Erener nicht zuletzt dank wohl gesetzter Bauchtanzeinlagen für sich entscheiden.
Mag sein, dass Phänomene wie die aktuelle Orient-und-Bollywood-Mode nur flüchtige Erscheinungen sind, die deutsche Studenten zur Wasserpfeife greifen lassen, während im Hintergrund orientalisch angehauchte Chill-out-Tracks laufen. Aber die Grenzen zwischen Popmainstream und -peripherie, zwischen Unterhaltung nach US-Format und lokalen Kulturindustrien bröckeln stetig. So wie sich Hollywood von asiatischer Kampfkunst eine Auffrischung seiner Actionfilme verspricht, so sampeln US-HipHop-Stars indische Filmmusik in ihre Tracks oder suchen im jamaikanischen Dancehall-Riddims neue Inspiration.
Gerade in solchen unübersichtlichen Zeiten, wo sich Grenzen zunehmend im Hybriden auflösen, mutet eine Quote für kulturelle Produktionen unlogisch und auch unfreiwillig anachronistisch an. Denn nationale Popkultur, so sehr sie auch in Prestigeprojekten wie der Echo-Preisverleihung und der PopKomm-Messe beschworen wird, ist eine Fiktion. Sie macht nur in einem Punkt Sinn: als Wirtschaftsfaktor. Und so ist die Quote letztlich auch gemeint: als ein Instrument zur Förderung des örtlichen Mittelstands aus Produzenten, Plattenlabels und Videoclipregisseuren – das zudem noch verspricht, dem Standort Deutschland in Zukunft wieder etwas mehr Glamour zu verleihen. Wenn auch keinen wirklich internationalen.