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Archiv-Artikel

Franzosen werden immer herzlicher willkommen geheißen

Nicht wenige Israelis haben Verständnis für die Schelte von Präsident Jaques Chirac. Französische Juden sind ohnehin genug motiviert, ins heilige Land auszuwandern

JERUSALEM taz ■ Manch ein Israeli kann die scharfe Abfuhr verstehen, die Premier Ariel Scharon sich bei Frankreichs Präsident Jaques Chirac eingehandelt hat. Allein bis gestern Nachmittag meldeten sich 200 Leser auf der Homepage der Zeitung Jediot Achronot. „War Scharon denn jemals in Frankreich willkommen?“, fragte einer, ein anderer meinte: „Auch bei uns ist er unerwünscht.“ Es sei „ein Witz, dass Scharon, der selbst Weltmeister im Rassimus ist“, anderen Staaten Antisemitismus vorwerfe. Ein anderer Leser solidarisierte sich mit dem Premier: „Nicht nur Scharon“ habe in Frankreich nun nichts mehr verloren.

Und auch Israels Justizminister Tommi Lapid (Schinui) wollte den Eklat nicht zu hoch hängen. Er meinte, Scharon könne ja auch woandershin fahren, wenn er in Frankreich nicht gern gesehen wird. Der war am Sonntag auf einer Veranstaltung mit jüdischen Gemeindevorsitzenden auf die Lage der Juden in Frankreich angesprochen worden. Vermutlich auch unter dem Eindruck des, wie sich herausstellte, inszenierten Angriffs auf eine vermeintliche Jüdin in einer Pariser S-Bahn ließ sich Scharon zu der umstrittenen Aufforderung an Frankreichs Juden hinreißen, „so schnell wie möglich“ nach Israel zu ziehen. Gleichzeitig lobte er die von der französischen Regierung ergriffenen Maßnahmen, dem Antisemitismus Einhalt zu gebieten.

„Die Alija [hebr.: Einwanderung nach Israel] ist das höchste Ziel meiner Regierung“, hatte Scharon vor den jüdischen Gemeindevorsitzenden erklärt. Nur so könne „Israel seinen Charakter als jüdischer Staat“ wahren. „Eine Million Neueinwanderer“ schweben dem Regierungschef vor. Doch die aktuelle Statistik der Einwanderungsbehörde ist für ihn wenig ermutigend (siehe Kasten). Umfragen der Tageszeitung Ha’aretz zufolge würde jeder dritte Israeli lieber im Ausland leben. Die meisten zieht es in die USA, wo schon heute rund eine halbe Million Israelis ihren Hauptwohnsitz haben.

Wegen der Sicherheitslage und des angespannten Arbeitsmarktes können inzwischen auch europäische Botschaften einen Run auf den Zweitpass vermelden: Bei der österreichischen Botschaft hat sich die Zahl der Anträge mehr als verdoppelt, bei der deutschen Botschaft ist sie um 40 Prozent gestiegen. Insgesamt nahm sie im vorigen Jahr 3.000 Anträge auf einen deutschen Pass entgegen. Dagegen sind 2003 nur 70 Juden den umgekehrten Weg gegangen, also von Deutschland nach Israel emigriert.

Einzig die Einwanderungsbereitschaft der französischen Juden kann Scharon optimistisch stimmen. Sie erreichte im vergangenen Jahr mit 2.083 Menschen nahezu US-amerikanische Ausmaße. In den ersten sechs Monaten 2004 liegen die Franzosen in Führung: 685 sind bereits gelandet, 500 werden allein im Juli erwartet. Aus Nordamerika kamen bislang nur 611 Immigranten.

„Französische Juden stammen zu zwei Dritteln aus Nordafrika und sind traditionell religiös“, erklärt Michael Jankelewitsch, Sprecher der Einwandererorganisation Jewish Agency. Damit habe Israel für sie automatisch einen wichtigen Stellenwert. Viele hätten zudem Verwandte im Land. Sollte sich angesichts der Übergriffe von Seiten der muslimischen Landsleute die Frage nach einem Weggang stellen, „dann ist für sie klar, dass sie nach Israel kommen“.

SUSANNE KNAUL