rezession und reaktion: Mach mal Pause
Pause zu machen ist nicht nur schön, sondern auch notwendig. Bloß für unsere hochgerüstete, atemlose Wirtschaftswelt soll das nicht gelten. Wachstum muss sein. Gleich bleibende Wirtschaftskraft ist schlecht, ein zeitweiliger Rückgang der Leistung – die gestern offiziell festgestellte Rezession – sogar das Schlimmste. Warum nur? Diese Gesellschaft ist so wohlhabend, dass sie nicht weiterwachsen müsste, um das Leben in ihr noch angenehmer zu machen. Ganz im Gegenteil: Weniger Leistung könnte mehr Lebensqualität bedeuten – zum Beispiel in Form einer intakten Umwelt.
Kommentarvon HANNES KOCH
Das Dumme ist jedoch, dass unsere Gesellschaft auf ökonomische Pausen im Wachstumsprozess überhaupt nicht eingerichtet ist. Deshalb definiert sie diese als Krisen. Das Funktionieren des komplizierten Systems Wirtschaft setzt eine jährliche Zunahme des Produktionswertes um mindestens zwei Prozent voraus. Wenn das Wirtschaftswachstum geringer ausfällt, muss der Staat mehr Geld für die Arbeitslosigkeit ausgeben. Wegen der Haushaltskrise setzt zudem die hektische Suche nach Geld ein, die immer Umverteilung zwischen sozialen Gruppen bedeutet. Je geringer das Wachstum, desto schärfer die Konflikte um die knappen Mittel.
In dieser Situation stecken wir gerade. Dabei geht die Neuverteilung oft zu Lasten der ärmeren Schichten, die auch weniger gesellschaftliche Macht mobilisieren können – siehe Kürzung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau. Wer sich gegen Wachstum ausspricht, sagt damit nach Lage der Dinge, dass ihm die Umverteilung auf Kosten der Schwachen egal ist. Eine realistische Wirtschaftspolitik, die die gegenwärtige Unveränderbarkeit der gesellschaftlichen Machtverhältnisse akzeptiert und sich dennoch dem sozialen Ausgleich verpflichtet fühlt, muss deshalb auf ein moderates Wirtschaftswachstum setzen.
Dies gibt Rot-Grün vor, mit seinem gestern nochmals präsentierten Reformpaket im Sinn zu haben. Tatsächlich passiert aber viel zu wenig. Anstatt die staatlichen Haushalte auszuweiten, maßvoll mehr Schulden aufzunehmen und den Bürgern zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen, um die Flaute zu überwinden, gibt sich die Bundesregierung sparsam. Was sie in Form der vorgezogenen Steuerreform verteilt, kassiert sie auf der anderen Seite durch die Streichung von Steuervergünstigungen wieder ein. Rot-Grün sollte mal Pause machen – mit der Knauserei.
wirtschaft und umwelt SEITE 8
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