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Archiv-Artikel

wenn schröder redet Die Entdeckung der Behutsamkeit

Einen Namen macht Gerhard Schröder sich in letzter Zeit eigentlich nur als Kraftmeier: Innenpolitisch will er Sozialreformen durchboxen, gleich ob es an den sozialen Rändern quietscht, außenpolitisch muss es als Nächstes ein deutscher Sitz im UN-Sicherheitsrat sein. Wer über Schröder den Kopf schüttelt, in Deutschland wie im Ausland, tut es darum keineswegs immer wegen seiner Ziele, sondern auch wegen der Rücksichtslosigkeit, mit der er sie verfolgt. Gestern, bei seiner Rede zum Hitler-Attentat vom 20. Juli, hat der Kanzler die Kraft der Behutsamkeit erprobt – und sie steht ihm überraschend gut zu Gesicht.

KOMMENTARVON PATRIK SCHWARZ

Seine Ansprache im Bendlerblock war von einem Geist bestimmt, den er sonst zu oft vermissen lässt: Zurückhaltung. Darum hielt er eine gute, vielleicht sogar seine erste gute Rede zur deutschen Vergangenheit. Das Wichtigste zuerst: Schröder widersteht der Versuchung, die Tapferen von einst für die Zwecke der Bundeswehr von heute einzuspannen. Der 20. Juli taugt weder zur Legitimation von Einsätzen in Kosovo oder Afghanistan noch zur Kritik daran. Zweitens: Schröder kleistert nicht mit am Heroenkult vieler bunter Medien, sondern nennt die Mitschuld der Attentäter: „Hitlers Krieg ist zeitweise auch ihr Krieg gewesen.“ Drittens: Er warnt, das Versagen der vielen zu kaschieren durch den Verweis auf die wenigen. Schließlich erinnert er an die viel zahlreicheren Widerständler im besetzten Europa.

Auf dem Gebiet der Geschichtspolitik ist die Gefahr von Fehltritten noch größer als in der Diplomatie. Doch für die Dauer einer knappen halben Stunde fand der ewige Kraftmeier zu einer neuen Haltung: Im Stil respektierte er die Bedeutung von Nuancen in der Politik. In der Sache leitete er aus der Ruhmestat einiger Deutscher in der Vergangenheit nicht das Recht auf deutsche Besserwisserei in der Gegenwart ab. Beides sind relativ neue deutsche Tugenden, beide vernachlässigt er im Alltag.

Dabei taugt die Kraft der Behutsamkeit sogar zu einer Art bundesrepublikanischem Glaubensbekenntnis – für den Mut zu Veränderungen, aber ohne Großmannssucht und falschen Stolz: Weil wir zufrieden sein wollen mit diesem Land und uns selbst, könnte uns ein bisschen mehr Mühegeben manchmal nicht schaden. Wer seine Reformprojekte – bei Sozialsystemen wie UN-Sicherheitsrat – aus diesem Geiste begründen würde, dem nähme man die gute Absicht vielleicht sogar ab.

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