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Archiv-Artikel

mein fast perfekter sommer (7) JOSEF WINKLER über die Alm – reloaded

Wolf, der Kater, sagt: „Glück ist, wenn man gar nichts muss“

Ich spuke. Ich bin ein Wiedergänger meiner selbst. Stehe im Weg, überzählig, überfällig. Wie eines der alten Schlossgespenster, die den Abflug verpasst haben, torkle ich durch eine Welt, die nicht die meine ist. Ich sollte nicht hier sein. Ich sollte auf einem Berg sein, auf dem Berg, auf dem ich die letzten zwei Sommervierteljahre Kühe molk. Die Welt rechnet nicht mit mir. Kein Tag ohne jemandes erstauntes „Ach, bist du noch gar nicht auf deiner Alm?“ Nein.

„Mein“ Bauer hat im Herbst sein Vieh verkauft, ich habe das auch erst viertausendmal erzählt. Viertausend Nadelstiche. In den zwei Almzeiten in splendid isolation, wohligen Monaten ohne den Imperativ, etwas auf die Beine zu stellen, scheine ich die organisatorische Kompetenz eingebüßt zu haben, einen Normalsommer in ersprießliche Bahnen zu lenken. Das will alles neu erlernt sein, hart. Von der Pieke auf. Schwierig, zumal wenn auch noch Arbeit getan sein soll. Um drei Uhr nachmittags fragt der ausgiebig angestarrte Computer leise an, ob es denn nun heute noch was werde mit dem Getippse, ansonsten er so frei sei, nunmehr in den Ruhezustand zu schalten. Von draußen wirft der Sommertag Kiesel an die Scheibe. Er will spielen und riecht gut und meint, ich solle rauskommen. Er macht ein schlechtes Gewissen mit seinem Gegrinse, drängelt: Erleb gefälligst was!

Dabei geht mir der Vollzug der sommerlichen Pflichtfreuden – Bad, Sonnenpelzung, Biergärtnerei, das Schlauchboot aufblasen, eine Urlaubsreise anzetteln etc. – gar so zäh von der Hand. Tage verstreichen. Wieder einer hinüber, verdaddelt, auf den Altar der Lethargie gelegt und verglüht. Schande.

Es ist spät, aber nicht zu spät, als mich schließlich ein Weg aus der Lahmarschigkeit für eine Woche auf die Alm führt. Erste Ernüchterung: Die kommen hier tatsächlich ohne mich zurecht. In den Hütten um „meine“ kuhlose herum, an den Hängen, auf den Wegen muht und schellt und tiriliert das Leben wie die ca. 600 Sommer zuvor. Viele vertraute Gesichter von Mensch und Rind, viel gewohnter Gang, ein wenig Neues. Zum Beispiel Wolf.

Wolf ist ein jugendlicher Kater, stahlgrau und geschmeidig. Er „gehört“ (ein für Wolf reichlich unerheblicher Begriff) einem der Senner und hat sich in den vergangenen sieben Wochen hier oben ein ausgesprochen lässiges Vagabundenleben angewöhnt. Streunt zwanglos auf dem Almboden herum und war auf diese Weise schon in jedem Haushalt hier ein paar Tage Gast. Ein Bohemien, schnorrt und schnurrt sich durch, lässt sich aushalten, Logis und Kraulen inklusive, fängt als Gegenleistung ein paar Mäuse ab. Und spendet psychologischen Beirat.

Vor zwei Tagen hat Wolf – meine Bedürftigkeit erkennend? – sich mir bei einem Abendspaziergang angeschlossen. „Du solltest dich weitaus lockerer machen“, sagt Wolf jetzt. „Schau.“ Er dreht sich auf dem Teppich herum und schläft zwei Stunden. Mein aufwändig für ihn installiertes Spielgerät ignoriert er dann freimütig, amüsiert sich stattdessen mit einem alten Stück Schaumgummi. „Glück ist, wenn man gar nichts muss“, sagt Wolf bedeutungsvoll. Den Satz hat der Kerl sich doch wo geklaut, denke ich und gebe eine Scheibe Wurst aus.

Am Nachmittag ist Wolf weg, weitergezogen, grußlos. Und ich weiß, was ich mache, wenn der Sommer demnächst wieder Steinchen an mein Fenster wirft: irgendwas.